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Bild: Ehimetalor Akhere Unuabona / unsplash

Klima & Energie Wirtschaft

Der Klimaschutz braucht Geld: Erdölgiganten sind in der Schusslinie

Noch fliessen Milliarden in die Kohle, Erdöl und Erdgas. Das fossile Zeitalter regiert weiter – auch wenn die Vormacht der schmutzigen Brennstoffe zu bröckeln anfängt. Für Klimaaktivisten und grün gesinnte Politiker ist das Ziel in diesem Jahr klar: Sie wollen das Ende der fossilen Ära weltweit beschleunigen.

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Der Klimaschutz braucht Geld: Erdölgiganten sind in der Schusslinie

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Aktivisten ziehen die Schrauben an. Die Unternehmen, Banken, Investoren und – allen voran – die Regierungen, die weiterhin Milliarden in die Förderung, die Produktion, den Verkauf und den Verbrauch von fossilen Brennstoffen leiten, sind in der Schusslinie.

Neue Klimaklagen, aktivistische Gesellschafterbeschlüsse, PR-Kampagnen und politische Auflagen werden in Europa und weltweit in die Mache genommen. Das Ziel? Die gesellschaftliche und ökonomische Rechtfertigung zur Finanzierung fossiler Brennstoffe zu untergraben.

Die Erdölgiganten pumpen Milliarden in die fossilen Energieträger

Unter den Erdölriesen steht häufig der britische Konzern Shell im Fokus: So wurde jüngst bekannt, dass eine Gruppe von 27 Investoren, unter anderem Europas grösster Asset-Manager Amundi und die Schweizer Ethos-Stiftung, Shell auf der Jahreshauptversammlung im Mai dazu bringen will, neue und stringente Klimaziele zu setzen. Die Investoren besitzen laut den beteiligten Organisationen gemeinsam fast 5 Prozent der Shell-Aktien.

«Obwohl sich das britische Unternehmen verpflichtet hat, seine Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu reduzieren, investiert es weiterhin in grossem Umfang in fossile Brennstoffe, insbesondere in die Erschliessung neuer Felder», so der Schweizer Pensionsfonds Ethos in einer Erklärung. Dieser Widerspruch, der langfristig auch ein finanzielles Risiko darstelle, sei der Grund für die Aktion.

Die Zahlen sind eindeutig. Die Öl- und Gasindustrie spielt, Stand heute, eine fast irrelevante Rolle in der Finanzierung und Umsetzung der Energiewende. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) tätigen die Öl- und Gaserzeuger nur 1 Prozent der Gesamtinvestitionen in saubere Energie weltweit.

Mehr als 60 Prozent davon stammten von nur vier Unternehmen, meinte die Organisation in einem Bericht Ende November. Dabei gibt es Tausende Firmen. Auch wenn die internationalen Konzerne im Vordergrund stehen, sind es vor allem nationale staatliche Unternehmen, die den grössten Anteil an der Produktion und an den Reserven haben.

Im Jahr 2022 investierte die Öl- und Gasindustrie rund 20 Milliarden Dollar in saubere Energieprojekte. Darunter fallen nicht nur erneuerbare Energien, sondern auch Kernkraft, Netzinfrastruktur und Speichertechnologien. Das entspricht etwa 2,5 Prozent ihrer gesamten Investitionsausgaben.

Bis 2030 müsste diese Zahl aber auf 50 Prozent der Kapitalausgaben wachsen, wenn Produzenten die Ziele des Pariser Abkommens erreichen wollten, rechnete die IEA vor. Das wäre zusätzlich zu den Investitionen, die für die Verringerung der Emissionen aus ihrem eigenen Betrieb erforderlich sind (und wofür Unternehmen wie Shell zunehmend unter Druck geraten).

Noch sind Investitionen in Öl- und Gasprojekte lukrativer. Laut IEA-Schätzungen lag die Rendite des eingesetzten Kapitals in der Öl- und Gasindustrie zwischen 2010 und 2022 im Durchschnitt bei 6 bis 9 Prozent. Bei Projekten im Bereich der sauberen Energien betrug sie dagegen 6 Prozent. Die IEA sagt jedoch auch: Renditen mögen geringer sein, sie sind dafür aber konstanter als im Öl- und Gassektor.

Im Kampf um Kapital hätten die kohlenstoffarmen Technologien vorerst jedoch den Kürzeren gezogen. Die meisten Unternehmen würden stattdessen eher auf die Förderung setzen, lautete derweil die Schlussfolgerung in einer Analyse des Beratungsunternehmens Wood Mackenzie im Dezember.

Welche Rolle für die fossilen Giganten?

Natürlich stellt sich hier die Frage, ob die Unternehmen eine aktive Rolle in der Energiewende spielen müssen. Es ist ökonomisch sinnvoll, sich weiterhin auf das fossile Kerngeschäft zu konzentrieren, um Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Davon profitieren auch die Anteilseigner finanziell, so das Argument. Mehr noch, fossile Brennstoffe werden mittel- und langfristig eine Rolle in unserem Wirtschaftssystem spielen.

Das sagen nicht nur die Geschäftsführer grosser Erdölunternehmen und die Opec, der Klub der Petrostaaten, aus offensichtlichen Gründen. Das zeigen auch die Szenarien der Internationalen Energieagentur und der Europäischen Kommission auf. Auch in einer Netto-Null-Welt sind Investitionen notwendig, um die Energieversorgung zu gewährleisten und die Branchen zu beliefern, in denen Emissionsminderungen schwerer zu tätigen sind.

Heute machen die fossilen Brennstoffe noch immer rund 80 Prozent der weltweiten Energieversorgung aus. Erdöl- und Gasproduzenten aus aller Welt wollen entsprechend sicherstellen, dass sie diejenigen sind, die die Welt auch in der Mitte des Jahrhunderts noch mit den benötigten Mengen an fossilen Brennstoffen beliefern. Unternehmen positionieren sich entsprechend. Das Problem dabei ist natürlich, dass so gut wie alle grossen Akteure die «letzten Überlebenden» sein wollen. Diese Rechnung kann für die einzelnen Unternehmen nicht aufgehen, wenn man es mit den Klimazielen ernst meint.

Für den Umbruch planen

Kritiker dieses Ansatzes sagen auch, dass sich das Kerngeschäft angesichts der sich wandelnden Rahmenbedingungen langfristig ändern müsse. Dazu gehören die Klimaziele und der stetig steigende regulative, finanzielle und gesellschaftliche Druck, Emissionen in den kommenden Jahrzehnten zu reduzieren.

Je nachdem, wie sich die Energiewende mittelfristig beschleunigt, bedeutet das mehr Risiko für das Öl- und Gasgeschäft und für gestrandete Vermögenswerte, so die IEA warnend. Gleichzeitig fallen die Kosten erneuerbarer und anderer grüner Technologien rasant, neue Märkte sind im Entstehen. Es brauche überzeugende Übergangsstrategien, das fordern längst nicht mehr nur Aktivisten. Entsprechend argumentierten auch klimabewusste Investoren von Shell.

Die Beteiligung der internationalen Erdölriesen an der Energiewende sei aus weiteren Gründen wichtig, sagen derweil führende amerikanische und europäische Politiker. Es brauche unter anderem das technische Know-how und die Erfahrung mit grossen und komplexen Infrastrukturprojekten. Ohne sie werde die Umstellung auf grüne Energietechnologien teurer und langsamer verlaufen, davor warnt auch die IEA.

Dazu kommt natürlich, dass viele für die Energiewende relevanten Unternehmen in Staatshand sind. Sie stellen somit einen verlängerten Arm der jeweiligen Regierung und ihrer Interessen dar. Das gilt besonders für die Energie- und Industriepolitik. So besitzen die grossen internationalen Unternehmen – darunter Shell, BP und die amerikanischen Schwergewichte Exxon und Chevron – laut IEA-Zahlen weniger als 13 Prozent der weltweiten Öl- und Gasproduktion und Reserven. Auf die Staatsunternehmen entfallen derweil mehr als die Hälfte der weltweiten Produktion und fast 60 Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven.

Die rhetorischen Verpflichtungen der Staats- und Regierungschefs auf den internationalen Klimaverhandlungen zählen entsprechend wenig, wenn sich die staatlichen Unternehmen nicht an die Umsetzung der versprochenen Ziele machen. Das im Auge zu behalten, ist eine der zentralen Aufgaben der Zivilgesellschaft in diesem Jahr. Schliesslich hatten sich in Dubai die knapp 200 Regierungen der Welt darauf geeinigt, die Abkehr von den fossilen Brennstoffen in die Wege zu leiten.

Die Konferenz könne für einige Staatsunternehmen bedeuten, einen grösseren Schwerpunkt auf Emissionsminderungen zu legen, schreiben Analytiker von Wood Mackenzie. Aber die meisten staatlichen Konzerne seien mit dem Ausbau ihrer Kapazitäten im Bereich der Öl- und Gasförderung beschäftigt – bestärkt durch die Sorgen um die Energiesicherheit der vergangenen Jahre.

Sultan al-Jaber, der teilweise umstrittene Vorsitzende der Klimaverhandlungen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Geschäftsführer des staatlichen Erdölriesen Adnoc, fasste den Energie- und klimapolitischen Interessenkampf der kommenden Jahre ungerührt in einem Interview mit der britischen Zeitung «The Guardian» zusammen.

Sein Ansatz sei sehr einfach, sagte er nur zwei Tage nach Ende der Konferenz. Die Emirate würden weiterhin als «verantwortungsvoller, zuverlässiger Lieferant» agieren, solange die Nachfrage bestehe. Adnoc plant Milliardeninvestitionen in den Ausbau der Ölproduktion. Al-Jaber wettet dabei auf einen Wettbewerbsvorteil: Das Erdöl aus den Emiraten sei sauberer als das aus anderen Ländern. «Die Welt braucht kostengünstiges Öl und Gas mit einem niedrigen Kohlenstoffgehalt», sagte er. Jetzt müsse man die Dekarbonisierung des derzeitigen Energiesystems voranbringen, «während wir das neue Energiesystem aufbauen».

Der Kampf darum, wie schnell das vonstattengeht, wird in diesem Jahr in einem weiteren Erdölstaat ausgefochten werden. Im November findet die nächste Klimakonferenz in Aserbaidschan statt – einem weiteren Petrostaat. Mit der Ernennung des Umweltministers Mukhtar Babayev ist ein langjähriger Manager des staatlichen Erdöl- und Gasriesen Socar damit beauftragt, die Verhandlungen zu leiten. Der Öl- und Gassektor wird also auch in diesem Jahr eine überaus grosse Rolle in der Umsetzung der globalen Energiewende spielen.

Kalina Oroschakoff, «Neue Zürcher Zeitung» (19.02.2024)

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