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Bild: Pixabay

Gesellschaft

Ist es eine gute Idee, Zucker durch Süssungsmittel zu ersetzen?

Künstliche Süssstoffe gelten als kalorienarme Alternative zu Zucker. Verschiedene Studien stellen jedoch ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit in Frage. Zwei Schweizer Forscherinnen untersuchen Alternativen, bei denen der Nutzen die Risiken überwiegen könnte.

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Wir alle dachten, wir hätten eine gesündere Alternative zu Zucker gefunden: Nicht nur die Millionen von Menschen, die an Diabetes leiden – allein in der Schweiz sind es 500'000 –, sondern auch jene, die es leid sind, gegen die allgegenwärtige Versuchung des Zuckers anzukämpfen.

In der Annahme, dass sie weder den Blutzuckerspiegel noch die tägliche Kalorienzufuhr zu stark beeinflussen, haben wir uns auf künstliche Süssstoffe verlassen, um Speisen und Getränke zu süssen.

In den letzten zehn Jahren ist die Lebensmittelindustrie auf diesen Trend aufgesprungen und setzt Süssstoffe in immer mehr Produkten ein. Zwischen 2007 und 2019 ist der weltweite Pro-Kopf-Verbrauch von nicht nutritiven Süssstoffen bei Getränken um 36% und bei verpackten Lebensmitteln um 3% gestiegen.

Für einen bitteren Beigeschmack bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten sorgte allerdings im Mai dieses Jahres die Veröffentlichung neuer Richtlinien durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Darin riet sie von der Verwendung von künstlichen Süssstoffen ab.

Im Juli stufte die Krebsforschungsagentur der WHO den beliebten Süssstoff Aspartam erstmals als «möglicherweise krebserregend für den Menschen» ein. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Süssstoffe langfristig genau das verursachen können, was sie zu bekämpfen versprechen: Übergewicht und chronische Krankheiten wie Diabetes. Die Zuverlässigkeit dieser Studien ist jedoch umstritten.

In der Schweiz führen zwei Forscherinnen vielversprechende klinische Studien mit zwei anderen Arten von Süssstoffen durch: Erythrit und Xylit.

Süsses, das die Zähne schützt

Die schweizerisch-norwegische Ärztin Bettina Wölnerhanssen erinnert sich an ihre frühe Kindheit in Schweden. Dort gibt es seit den 1950er-Jahren die Tradition des Lördagsgodis, der Süssigkeiten am Samstag.

«Das war der Tag, an dem wir Mädchen und Jungen Bonbons und Süssigkeiten essen durften», erinnert sie sich. Ursprünglich war der Süssigkeiten-Samstag ein Versuch, den Zuckerkonsum einzuschränken und so die damals in Schweden weit verbreitete Karies zu reduzieren.

In den 1970er-Jahren kam dann Xylitol ins Spiel. Finnische Wissenschaftler:innen hatten herausgefunden, dass der in einigen Obst- und Gemüsesorten enthaltene Zuckeralkohol tatsächlich Karies vorbeugt.

Auch ein anderer Zuckeralkohol, Erythrit, war bereits für seine Süsskraft, seinen geringen Kaloriengehalt und die Tatsache bekannt, dass er keine negativen Auswirkungen auf die Zahngesundheit hat.

Während Xylit jedoch schon lange als Zuckeraustauschstoff hergestellt und verwendet wurde, vor allem in den nordischen Ländern, wurde Erythrit erst 1990 in Japan für den Handel zugelassen. Seitdem wurde es in mehr als sechzig Ländern zugelassen – in der Europäischen Union erst 2006 – und erfreut sich wachsender Beliebtheit.

Erythrit ist praktisch kalorienfrei und im Darm besser verträglich als Xylit. Dank dieser Eigenschaften lässt es sich leicht in verschiedene Süssspeisen integrieren.

Im Lauf der Zeit wurden immer mehr Studien zu diesen Zuckeralkoholen veröffentlicht, in denen positive Wirkungen bei Tieren nachgewiesen wurden, etwa antidiabetische Eigenschaften und eine Senkung des Blutzuckerspiegels sowohl bei gesunden als auch bei zuckerkranken Ratten.

«An diesem Punkt dachte ich, dass wir vielleicht zeigen können, ob das auch beim Menschen der Fall ist und was die Mechanismen sind», sagt Wölnerhanssen. Das ist das Ziel ihrer Forschungsgruppe am Claraspital in Basel.

Satt ohne Kalorien

In der Schweiz sind Erythrit und Xylit erst seit wenigen Jahren auf dem Markt. «Unsere Forschungsgruppe ist wahrscheinlich die einzige in der Schweiz, die sich für diese Süssstoffe interessiert», sagt Wölnerhanssen.

Zusammen mit ihrer Kollegin Anne Christin Meyer-Gerspach hat sie 2016 mit der Publikation der ersten Forschungsarbeit zu diesen beiden Stoffen internationale Anerkennung erlangt. Neben der Wirkung von Zuckeralkoholen auf den Insulin- und Blutzuckerspiegel beschäftigten sich die Wissenschaftlerinnen mit der Ausschüttung von Sättigungshormonen, die uns signalisieren, wann wir mit dem Essen aufhören sollen.

Wenn wir Zucker zu uns nehmen, steigt der Spiegel der Sättigungshormone an, wir fühlen uns zufrieden und belohnt und erleben ein Sättigungsgefühl. Das ist bei den meisten künstlichen Süssstoffen nicht der Fall.

Die beiden Wissenschaftlerinnen beobachteten jedoch zum ersten Mal bei einer kleinen Gruppe von Menschen, dass die Aufnahme von Erythrit und Xylit die Freisetzung von Sättigungshormonen auslöst. «Im Gehirn wird das Belohnungszentrum stimuliert, ähnlich wie bei Zucker», sagt Meyer-Gerspach.

Übergewichtigen Menschen, die weniger Sättigungshormone produzieren, könnte dies helfen, ihr Hungergefühl zu reduzieren und eine Gewichtzunahme zu vermeiden. Im Gegensatz zu Zucker sind Erythrit und Xylit sehr kalorienarm.

Wölnerhanssen und Meyer-Gerspach führen derzeit zwei klinische Studien mit Erwachsenen und JugendlichenExterner Link durch, in denen die Auswirkungen von Erythrit und Xylit auf die Zuckerverwertung im Körper untersucht werden.

Mehrere Studien haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die Verwendung beliebter künstlicher Süssstoffe, besonders von Sucralose und Saccharin, zu einer Veränderung der Bakterienflora im Darm führt. Dies könnte zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels und damit zu einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Diabetes und anderen Krankheiten führen.

Erste Forschungsergebnisse von Wölnerhanssen und Meyer-Gerspach scheinen diese unerwünschten Effekte bei Erythrit und Xylit auszuschliessen. «Wir haben bisher keine negativen Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel und die Darmflora festgestellt», sagt Wölnerhanssen.

Alternative Süssstoffe im Fokus

Wie andere Zuckeraustauschstoffe wurden auch Erythrit und Xylit in einigen Studien unter die Lupe genommen. Forschende, welche die Herzgesundheit von mehr als 4000 Patient:innen in den USA und Europa untersuchten, fanden kürzlich heraus, dass hohe Erythritwerte im Blut mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall einhergehen. Diese Ergebnisse wurden im Februar veröffentlicht.

Laut Wölnerhanssen liefert diese Studie einige interessante Erkenntnisse, lässt aber noch viele Fragen offen. Die Wissenschaftlerin glaubt, dass es sehr schwierig ist, einen direkten Kausalzusammenhang in Studien nachzuweisen, in denen die Auswirkungen von Chemikalien einfach an einer Gruppe von Menschen beobachtet werden.

«Sie können von zu vielen Faktoren beeinflusst werden, zumal Erythrit auch vom menschlichen Körper produziert wird», sagt Wölnerhanssen.

Aus den gleichen Gründen bezweifelt ihre Kollegin Meyer-Gerspach die Aussagekraft wissenschaftlicher Untersuchungen, wonach Menschen, die viel künstliche Süssstoffe konsumieren, eher übergewichtig sind und an Diabetes leiden. «Es gibt derzeit keine Studien, die eindeutig beweisen, dass künstliche Süssstoffe schädlich sind», argumentiert sie.

Mehr Forschung zur Sicherheit von Süssstoffen erforderlich

Die Debatte über die Auswirkungen von Süssstoffen hält an, besonders nach den jüngsten Empfehlungen der WHO. Organisationen, die Süssstoffhersteller vertreten, wie beispielsweise die International Sweeteners Association, behaupten, die Empfehlungen seien weder wissenschaftlich fundiert noch stützten sie sich auf solide BeweiseExterner Link.

Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat sich nicht gegen die WHO-Empfehlungen ausgesprochen, hält Süssstoffe aber weiterhin für «sicher».

Magali Rios-Leyvraz, Expertin für Ernährungsepidemiologie und Hauptautorin der Untersuchung, welche die WHO als Grundlage für ihre Bewertung von Süssstoffen verwendet, stellte in einer E-Mail klar, dass das Dokument die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse (mehr als 283 Studien) zu diesen Substanzen analysiert. «Es ist die bisher umfassendste Untersuchung zu diesem Thema», schreibt sie.

Sie ist jedoch der Ansicht, dass weitere Untersuchungen nötig sind, um die Ergebnisse zu bestätigen, speziell bei Kindern und schwangeren Frauen.

Zuckeralkohole wie Xylitol und Erythritol wurden in der Analyse der WHO nicht berücksichtigt. Nach Ansicht von Rios-Leyvraz sollten ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit genauer untersucht werden.

Obwohl sie zur Vorsicht bei der Bewertung von Forschungsergebnissen über Süssstoffe rät, meint Wölnerhanssen, dass es eine Illusion wäre zu glauben, dass sie keine Auswirkungen auf unseren Körper haben. «Wie alle Chemikalien sind auch sie nicht träge», sagt sie. Ihre Lösung? «Mehr Wasser trinken und weniger süsse Getränke.»

Sara Ibrahim, «SWI swissinfo.ch» (19.07.2023)

Hier publiziert Sustainable Switzerland kuratierte Inhalte von SWI swissinfo.ch.

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