Logo image

Bildungskompass

newsletter image

Finde schneller zur passenden Aus- oder Weiterbildung.

Beantworte ein paar Fragen und erhalte personalisierte Vorschläge – oder vergleiche nach deinen eigenen Kriterien.

Jetzt loslegen
Der gesellschaftliche Impact der Geschäftsidee müsse messbar sein, sagt Rahel Pfister, Geschäftsführerin von SENS.

Der gesellschaftliche Impact der Geschäftsidee müsse messbar sein, sagt Rahel Pfister, Geschäftsführerin von SENS. Bild: SENS

Wirtschaft

Zwischen Business und Verantwortung: So geht soziales Unternehmertum

Social Entrepreneurs wollen beides: wirtschaftlich bestehen und die Welt ein Stück besser machen. Wer diesen Weg geht, braucht Mumm, Managementwissen und Durchhaltevermögen. Aber es ist lernbar.

0

Teilen
Hören
Logo image

Zwischen Business und Verantwortung: So geht soziales Unternehmertum

Teilen
Hören

7 Min.  •   • 

Luxusuhren – damit kennt sich Sebastian Lanz ziemlich gut aus. Viele Jahre machte er als Angestellter Marketing für die hochpreisigen Hingucker am Handgelenk. Heute führt der 46-Jährige seine eigene Firma in einem ganz anderen Sektor: Als Chef von RRRevolve verkauft er nachhaltige Mode, vor allem online, aber auch in vier Stores in Zürich und Bern. Die drei «R» stehen dabei für die Nachhaltigkeitsprinzipien Re-Use (wiederverwenden), Reduce (reduzieren) und Recycle (wiederverwerten).

Für Pia Tschannen begann der Weg in Richtung Unternehmertum ganz anders: in der Forschung an der Universität Bern. Bereits in ihrer Diplomarbeit im Fach Sozialgeografie beschäftigte sie sich mit prekären Arbeitsverhältnissen in der Reinigungsbranche. Heute führt sie in Bern zusammen mit Hansjürg Geissler das Unternehmen «Fairness at Work» mit 350 Mitarbeitenden und insgesamt 115 Vollzeitstellen. Gemeinsam schaffen sie mit ihren Vermittlungs- und Beratungsleistungen faire und legale Arbeitsplätze, unter anderem im Tieflohnsektor der Haushaltshilfen. Vor allem junge Berufstätige und Familien, die Reinigungskräfte suchen, nehmen ihr nachhaltiges Angebot in Anspruch – nach dem Motto «Buy social».

Unternehmerinnen sind hier in der Mehrheit

Und weil Social Economy als weiblich gilt, sei noch eine weitere Sozialunternehmerin erwähnt: Muriel Hendrichs. Sie gründete 2015 «L’Alberoteca» im Tessin. Die Ethnobotanikerin wollte sich für den Erhalt bedrohter Arten in der italienischsprachigen Schweiz einsetzen. Daraus wurde rasch mehr. Heute bietet L’Alberoteca Beratung zur biodiversen Landschaftsgestaltung sowie Umweltbildung in Kooperation mit lokalen Organisationen an. Apropos weiblich: Nach Angaben von SENS, der Dachorganisation der Social Economy in der Schweiz, liegt der Frauenanteil in der Chefetage von Sozialunternehmen hierzulande bei stolzen 51 Prozent. Die entsprechende Dachorganisation in Deutschland veröffentlichte in ihrem jüngsten Monitor, dass jedes zweite Sozialunternehmen von einer Frau gegründet werde.

So unterschiedlich Ziele und Zugänge zur sogenannten Social Entrepreneurship beziehungsweise Social Economy sein mögen, so haben sie doch alle eines gemeinsam: Am Anfang steht immer der Wunsch, etwas zu tun, das erfüllt und Sinn stiftet. «Ich wollte mich schon lange selbständig machen und habe zunächst mit dem Verkauf von nachhaltigen Accessoires und Einrichtungsgegenständen angefangen. Aber vor allem wollte ich etwas Sinnvolles tun, so bin ich zum Thema Nachhaltigkeit gekommen und damit zur nachhaltigen Fashion», erzählt Sebastian Lanz.

Was Social Entrepreneurship bedeutet, ist in der Schweiz rechtlich nicht definiert. Doch in Anlehnung an Rahmenwerke der OECD, der EU und des Forschungsnetzwerks EMES zum Thema Sozialunternehmen gibt es zentrale Merkmale und Prinzipien. Sie grenzen die Branche zum einen gegenüber der Gesamtwirtschaft ab und zum anderen gegenüber Ehrenamt und einem geförderten Sozialsektor. Nicht immer ist die Abgrenzung ganz trennscharf.

Im Zentrum steht jedoch der Wille, eine positive gesamtgesellschaftliche Wirkung mit oftmals innovativen Geschäftsmodellen zu erzielen, um Lösungen für grosse gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel, die Alterung der Gesellschaft, Mobilität und Verteilungsgerechtigkeit zu entwickeln. Es geht also um das «Mindset», die Wertorientierung der Gründerin oder des Gründers, wie Rahel Pfister sagt, die Geschäftsführerin von SENS in Zürich.

Doch mit dem richtigen Bewusstsein allein ist es nicht getan. Denn Sozialunternehmen sind letztlich Unternehmen und beruhen – anders als karitative Organisationen – darauf, dass sie mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes mit eigenen Produkten oder Dienstleistungen erwirtschaften. Die reine Gewinnmaximierung steht jedoch nicht im Vordergrund, vielmehr verfolgen sie eine sogenannte Social Mission. Deren Ziel ist es, soziale, kulturelle oder ökologische Wirkung, kurz: Impact, zu erzielen. «Das Geschäftsmodell muss also mit der Wirkungslogik verzahnt sein», erklärt Rahel Pfister, Geschäftsführerin von SENS in Zürich.

Allfällige Gewinne werden in die Weiterentwicklung der Organisation und zur Stärkung des sozialen Ziels reinvestiert, was in der Wirtschaftspraxis oft zu Diskussionen führt. Ein weiteres nachhaltiges Grundprinzip charakterisiert Sozialunternehmen: eine gute Governance. Das bedeutet, dass die Mitarbeitenden partizipieren können und die Organisation als Unternehmen unabhängig von Dritten entscheidet.

Ohne Business-Know-how geht es nicht

Klingt anspruchsvoll – und das ist es wohl auch. Was braucht man also, um Sozialunternehmerin oder -unternehmer zu werden? Muss man dazu geboren sein oder kann man alles erlernen? So viel ist gewiss: Ohne Grundkenntnisse in Betriebswirtschaftslehre (BWL) geht es nicht. In diesem Punkt unterscheiden sich die Anforderungen an angehende Sozialunternehmerinnen und -unternehmer in keiner Weise von Gründerinnen und Gründern herkömmlicher Startups. Businesspläne mit Angaben zu Produkten und Märkten, Innovation, Finanzen, Personal und Leadership, IT, Beschaffung, Marketing und Vertrieb – klassische BWL-Themen sind auch für die Social Economy von grosser Bedeutung. Sebastian Lanz kannte die freie Wirtschaft aus der Uhrenindustrie. Und bei Pia Tschannen ergänzten sich beim Start ihr wissenschaftlicher Background und das Knowhow ihres Partners Hansjürg Geissler ideal. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail – auch in unzulänglichen politischen Rahmenbedingungen für die Branche in der Schweiz.

Pia Tschannen

«Wir landeten zwischen Stuhl und Bank: Klassischen Förderstellen waren wir zu sozial; sozialen Institutionen zu unternehmerisch.»

Pia Tschannen

Unternehmerin

Also: Erlernbarer Beruf oder doch Berufung? In der Forschung zum Unternehmertum insgesamt habe man diese Frage lange unter dem Stichwort «Nature versus nurture» diskutiert, wie Professor Pascal Dey von der Berner Fachhochschule (BFH) ausführt. Der Experte für Social Innovation und Social Entrepreneurship bringt den aktuellen Stand der Forschung auf den Punkt: «Es gibt ein Bündel an Techniken und Verhaltensweisen für Unternehmerinnen und Unternehmer, die lernbar sind.»

Wichtig sei es, Ideen zu entwickeln und Opportunitäten zu erkennen, um diese dann zur Marktreife zu entwickeln. Auch die Fähigkeit, Unsicherheit sowie komplexe und mehrdeutige Situationen auszuhalten, hebt Pascal Dey hervor: «Es ist alles lernbar, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad.»

Bei Sozialunternehmen gebe es jedoch einen grossen Unterschied: «Die Motivlage ist anders. Klassische Unternehmen sind stärker instrumentell und durch finanzielle Anreize getrieben, während Sozialunternehmer mehr Impact-orientiert sind und gesellschaftliche Probleme lösen wollen», erklärt der Wissenschaftler. Ein erlernbarer Beruf? «Ja», lautet seine Antwort. Aber der Wunsch nach Sinnhaftigkeit gehe zugleich in Richtung Berufung, so Pascal Dey. «Bei Sozialunternehmen ist die Gründerpersönlichkeit nicht auswechselbar, sie ist der zentrale Anker und Treiber des Geschäfts.»

Wenn die Idee zum Härtetest wird

Pia Tschannen und Sebastian Lanz hatten ihr jeweiliges Geschäftsmodell anfangs bald gefunden, dann wurde es ernst. Wenig überraschend ging es in beiden Fällen zuerst einmal ums Geld. Die Versuche, eine Fremdfinanzierung zu finden, scheiterten allerdings.

Beide machten damals, vor 20 Jahren, die typische Erfahrung, zwischen Stuhl und Bank zu sitzen. Sie landeten in einem Gap der Schweizer Förderlandschaft: «Klassische Förderstellen für Unternehmensgründungen sagten uns, wir seien ‹zu sozial› und sollten zu Sozialen Diensten oder Hilfswerken gehen. Aber für diese waren wir zu unternehmerisch aufgestellt», erinnert sich die 52-Jährige. Also nahmen sie eigenes Geld in die Hand und bauten «Fairness at Work» auf Basis einzelner Projekte Schritt für Schritt auf.

Pascal Dey

«Vergabekriterien öffentlicher Förderagenturen mit dem Fokus auf rasche Skalierung und Wachstum passen nicht zu den Bedürfnissen des Sektors.»

Pascal Dey

Professor für Social Innovation, BFH

Kein Einzelfall. «Im internationalen Vergleich hinkt die Schweiz hinterher. Es fehlen vor allem eine rechtliche Verankerung, ein eigenes Fördersystem und Gründerzentren», bemängelt Rahel Pfister. Auch Professor Dey sieht ein Kernproblem in den Förderrichtlinien für Startups: Die Vergabekriterien öffentlicher Förderagenturen mit dem Fokus auf rasche Skalierung und Wachstum passten nicht zu den Bedürfnissen des Sektors.

Heute empfiehlt Pia Tschannen angehenden Sozialunternehmerinnen und -unternehmern, sich gute Kommunikationsfähigkeiten anzueignen. Denn man müsse nicht nur potenziellen Geldgebern das eigene Geschäftsmodell verständlich machen, sondern auch der breiten Öffentlichkeit: «Es erstaunt mich immer wieder, dass ich niemandem erklären muss, warum ich mit einem Unternehmen viel Geld verdienen will. Aber wenn ich ein Unternehmen gründe, das zusätzlich auch einen sinnvollen Zweck verfolgt, dann muss ich das den Leuten ausführlich erklären», bedauert Pia Tschannen, die seit 2020 im Vorstand von SENS mitarbeitet und 2023 das Präsidium übernommen hat.

Für viele Unternehmen ist es gar nicht so leicht, Business und Impact in Einklang zu bringen. Diese Herausforderung bringt einige Probleme bei der Umsetzung des jeweiligen wirkungsorientierten Geschäftsmodells mit sich, weiss SENS-Geschäftsführerin Rahel Pfister. «Man braucht auf jeden Fall Know-how, was Impact überhaupt bedeutet und wie man Wirkung misst.» Auch in puncto Unternehmensstatuten, die festhalten, dass Gewinne reinvestiert werden, müsse man sich juristisch fit machen.

Sebastian Lanz weiss nach 15 Jahren Erfahrung als Chef von RRRevolve, dass es nicht so leicht ist, «hehre Unternehmensziele» und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen. Vor allem Personalthemen und nachhaltige Beschaffung seien dicke Bretter, die der gelernte Journalist und Kommunikationsexperte bohren muss. «Wir sind selbst nicht Produzenten, arbeiten aber mit unseren Brands an der Transparenz in der Lieferkette, um faire Arbeitsbedingungen zu garantieren. Da hängen allerdings mehr als 100 Zulieferer dran. Das verursacht zusätzliche Kosten.»

Auch die Beschäftigung von Mitarbeitenden aus dem zweiten Arbeitsmarkt ist für den 46-Jährigen eine organisatorische und finanzielle Herausforderung. Doch er steht dazu – aus Überzeugung. Sein Tipp: sich informieren und gut vernetzen. Er empfiehlt Einsteigerinnen und Einsteigern das Netzwerk «Impact Hub Switzerland» und bestärkt sie ausdrücklich: «Man hat mehr Ausgaben, nicht mehr Verdienst als Sozialunternehmer. Aber dafür gibt es viel mehr Miteinander statt Gegeneinander, einen guten Austausch mit Lieferanten und selbst mit Wettbewerbern. Man muss einfach Biss und Herzblut mitbringen.»

Dieser Beitrag ist zuerst im Schwerpunkt «Bildung» erschienen, die Beilage zur «NZZ am Sonntag» ist am 21. September 2025 erschienen.

Werbung

Beliebteste Artikel

Empfohlene Artikel für Sie

Sustainable Switzerland
Gesellschaft

Sustainable Switzerland - Entrepreneurs Club

After Work
Gesellschaft

Haben wir für Nachhaltigkeit in der Krise überhaupt Zeit?

https://pixabay.com/photos/books-education-school-literature-462579/
Gesellschaft

Nachhaltigkeit im Unternehmen wirksam vorantreiben

Ähnliche Artikel

Henry Peter
Wirtschaft

Nachhaltige Unternehmensführung im Fokus

Portätbild von Nicole Blum
Sustainable Shapers

«Vermutlich sollte ich manchmal opportunistischer denken»

Foto: Adobe Stock
Wirtschaft

Nachhaltigkeit ist nicht das Problem – sie ist die Lösung