Das Risiko schwerer Erdstösse in Istanbul steigt
Die Erdbeben scheinen sich in Richtung der türkischen Metropole zu bewegen. Forscher empfehlen zusätzliche Messgeräte, um die Frühwarnung zu stärken.
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Der Metropole Istanbul droht ein schweres Erdbeben – nur wann? Murad Sezer / Reuters
Die Erdbeben scheinen sich in Richtung der türkischen Metropole zu bewegen. Forscher empfehlen zusätzliche Messgeräte, um die Frühwarnung zu stärken.
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3 Min. • • Sven Titz, «Neue Zürcher Zeitung»
Die Gefahr eines schweren Erdbebens nahe Istanbul wächst. Darauf deutet die Analyse von Bebenmessungen der vergangenen fünfzehn Jahre hin. Ein internationales Forscherteam empfiehlt darum, zusätzliche Messgeräte südlich der Stadt zu installieren – sowohl an Land als auch am Meeresboden. Die genauere Überwachung der Erdbewegungen soll helfen, bessere Systeme zur Frühwarnung zu entwickeln, um im Ernstfall Leben retten zu können.
Nahe Istanbul ist die sogenannte Nordanatolische Verwerfung verhakt und steht still. An der tektonischen Bruchlinie grenzen die Eurasische und die Anatolische Platte aneinander. Westlich und östlich der Blockade ist die Verwerfung in Bewegung, während sich an dem blockierten Teilstück immer mehr Spannung aufbaut. Istanbul droht darum ein schweres Erdbeben. Es könnte eine Stärke von bis zu 7,4 erreichen und Tausende bis Zehntausende Menschen das Leben kosten.
Wissenschafter um Patricia Martínez-Garzón vom Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam haben untersucht, wie sich die Beben der vergangenen fünfzehn Jahre westlich von Istanbul auf die Gefahrenlage auswirken. Erst im vergangenen Frühling gab es neue Erdstösse mit einer Stärke von 6,2. Im Wissenschaftsmagazin «Science» sind die Erkenntnisse jetzt nachzulesen. Die Erdbeben kämen Istanbul immer näher, schreiben die Forscher.
Die Erdbeben bewegen sich auf Istanbul zu
Die Karte zeigt die Epizentren der vier letzten Erdbeben mit einer Stärke von 5 oder mehr
Kartengrundlage: © Openstreetmap, © Maptiler Quellen: The GEM Global Active Faults Database, Science (2025)NZZ / sro.
Bruchlinie Nordanatolische Verwerfung
Das Erdbeben vom 23. April 2025 war das stärkste im Marmarameer seit mehr als sechzig Jahren. Seit 2011 hatte es – westlich davon – drei etwas schwächere Beben mit Magnituden zwischen 5,1 und 5,8 gegeben. Die Autoren der «Science»-Studie mutmassen daher, dass sich die Blockade der Nordanatolischen Verwerfung vor den Toren Istanbuls bald lösen könnte.
Ehemals blockierte Teile der Verwerfung westlich von Istanbul sind in den vergangenen Jahren offenbar in Bewegung geraten, gleichsam wie ein verklemmter Reissverschluss, der ruckelnd aufgeht. Nur vor der Millionenmetropole herrscht noch Stille. «Das sagt uns zwar nicht, wann ein grosses Erdbeben stattfinden wird», wird Patricia Martínez-Garzón in einer Medienmitteilung zitiert. «Aber es zeigt, welche Teile der Verwerfung zunehmend kritisch unter Spannung stehen.»
Zusätzliche Seismometer würden die Frühwarnung verbessern Das Helmholtz-Zentrum für Geoforschung betreibt gemeinsam mit türkischen Partnern auf den Prinzeninseln und an den Küsten des Marmarameers ein Observatorium aus Seismometern, die in 300 Meter tiefe Bohrlöcher eingebaut sind. Die Autoren der «Science»-Studie empfehlen jetzt die Einrichtung zusätzlicher Bohrlochseismometer, um die Überwachung der tektonischen Verwerfung weiter zu verbessern.
Nützlich wären ausserdem weitere Seismometer am Meeresgrund sowie eine stärkere Nutzung von Glasfaserkabeln zur Vermessung von Erdbewegungen, schreiben sie. Die zusätzlichen Messinstrumente sollen auch der Echtzeitüberwachung für das Frühwarnsystem der Stadt zugutekommen. Bei einem beginnenden Erdbeben schlägt dieses System binnen Sekunden Alarm; ausserdem können empfindliche Teile der Infrastruktur wie Verkehrswege oder Gasleitungen geschlossen werden.
Darüber hinaus arbeiten Politiker, Beamte und Wissenschafter in Istanbul seit Jahren daran, die Stadt widerstandsfähiger gegenüber Erdbeben zu machen. Es gibt aber immer noch Gebiete, die einem schweren Erdbeben ungenügend standhalten könnten. Das geht aus einer Studie hervor, die bereits im Februar 2025 im Fachmagazin «NPJ Natural Hazards» erschien.
Als vergleichsweise wenig resilient bezeichneten die Autoren etwa die Stadtgemeinden Esenler und Güngören auf der europäischen Seite der Metropole. Dort gebe es viele ältere Gebäude, die Bevölkerungsdichte sei hoch und die Erreichbarkeit für Rettungskräfte schlecht. Diese Faktoren können bei starken Erdstössen zu erheblichen Schäden führen – und womöglich auch zu vielen Verletzten und Todesopfern.
Sven Titz, «Neue Zürcher Zeitung» (15.12.2025)
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