Auf die Mode-, Textil- und Bekleidungsbranche wartet in nicht allzu ferner Zukunft eine enorme Herausforderung. Überall auf der Welt werden derzeit Gesetzesvorlagen ausgearbeitet und diskutiert, welche die Wirtschaft auf eine nachhaltigere Basis stellen wollen – und die sie gleichzeitig unter Druck setzen. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), die Non-Profit-Organisation Textile Exchange und das zu BCG gehörende Beratungsunternehmen für unternehmerische Nachhaltigkeit Quantis haben die Situation genau analysiert und in einem Bericht die Chancen und Gefahren für die betroffenen Betriebe beschrieben.
Strategien hinterfragen
Weltweit sind bereits mehr als 35 Gesetzesvorlagen in Bearbeitung, welche die Mode-, Textil- und Bekleidungsbranche direkt oder indirekt betreffen. «Fashion Brands standen bisher nicht so sehr im Fokus, wenn es um Nachhaltigkeit ging», sagt Philipp Meister, Global Fashion und Sporting Goods Lead bei Quantis. «Da die Branchen sich bis auf wenige Pionierunternehmen von sich aus nicht schnell genug bewegten, will man ihnen nun über die Gesetzgebung auf die Sprünge helfen.» Die Mode-, Textil- und Bekleidungsbranche wird nicht umhin kommen, ihre Betriebsstrategien und -abläufe grundsätzlich zu hinterfragen und anzupassen, um nicht mit Bussgeldern oder gar Marktausschlüssen belegt zu werden. Es drohen Verluste von bis zu 8 Prozent EBIT (Gewinn vor Zinsen und Steuern). Einfach abzuwarten und der Dinge zu harren, die von der Gesetzgebung kommen mögen, ist bei seinem solchen Risiko die falsche Strategie. «Man merkt, dass dies mittlerweile bei weiten Teilen der Branchen angekommen ist», so Philipp Meister.
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Rohstoffe im Fokus
Die Autoren stufen Aspekte der Nachhaltigkeit wie Überkonsum als äusserst wichtig ein, der Bericht legt das Hauptaugenmerk aber auf Rohstoffe und deren Beschaffung – Faktoren, bei denen die Branchen die Umwelt stark belasten und die deshalb massgeblich von den zu erwartenden Regulierungen betroffen sein werden. Die am häufigsten verwendeten Materialien in den Sektoren Mode, Textil und Bekleidung sind Wolle, Baumwolle, Rindsleder, MMCFs (Man-Made Cellulosic Fibres, künstliche Zellulosefasern) und synthetische Stoffe. Der Schlüsselbegriff lautet «preferred materials» (bevorzugte Materialien). Gemeint sind Materialien und Rohstoffe, die einen deutlich weniger schädlichen Einfluss auf die Umwelt haben und stattdessen einen Nutzen für Natur, Klima und Menschen generieren. Weshalb spricht man nicht einfach von nachhaltigen Materialien? «Einerseits ist dieser Begriff nicht wirklich definiert, und er wird heute inflationär verwendet», erklärt Philipp Meister. «Andererseits lenkt er den Blick viel zu sehr auf CO₂- Einsparungen. Doch diese sind nur ein Aspekt von vielen. Auch Wasser und Biodiversität sind wichtige Bestandteile einer ganzheitlichen Umweltbetrachtung. » Es gilt, sich von dem Gedanken zu lösen, dass der finanzielle Aspekt alles überlagert. «So gesehen, werden viele Unternehmen ihre gesamte Materialbeschaffung neu ausrichten müssen», ist Philipp Meister überzeugt.
«Anreizsysteme werden dafür sorgen, dass Brands und Hersteller auf nachhaltigere Produktionsmethoden umsatteln.»
Wenn künftige Regulatorien Herkunftsnachweise entlang der gesamten Produktionskette verlangen, bedeutet dies eine Abkehr vom heute üblichen Ansatz, die benötigten Materialien für seine Produkte möglichst billig zu beschaffen. Dazu gilt es zunächst, sich einen Überblick zu verschaffen, welche Elemente des eigenen Materialportfolios welchen Einfluss auf Mensch, Natur und Umwelt haben – eine anspruchsvolle Aufgabe, da die Produktionsbedingungen in den Weltregionen unterschiedlich, einheitliche Messmethoden oft in der Weiterentwicklung und die gewünschten Daten erst gar nicht vorhanden sind.
Beträchtliche Gewinnchancen
Der Bericht nennt zwei Möglichkeiten für Unternehmen, hier Einfluss zu nehmen. Einerseits können viele herkömmlich produzierte Materialien durch nachhaltig produzierte, nachwachsende Materialien ersetzt werden. Andererseits kann es eine Option sein, auf Recyclingmaterialien zu setzen. «Das wird zu neuen Arten der Zusammenarbeit zwischen Materialproduzenten und den Branchenunternehmen führen», sagt Philipp Meister. «Anreizsysteme werden dafür sorgen, dass die Brands und Produzenten auf nachhaltigere Produktionsmethoden umsatteln.» Dies wird neben Zeit auch ein gewisses Investitionsvolumen benötigen. Doch der BCG-Bericht zeigt deutlich auf, dass Unternehmen, die schnell und konsequent handeln, dafür mittelfristig erkleckliche Gewinnchancen erwarten dürfen.
Anhand von drei Szenarien prognostizieren die Fachleute den finanziellen Nutzen einer Umstellung des verwendeten Materialmixes. Statt der heute üblichen 90 Prozent neue Rohstoffe kann die schrittweise Umstellung des Materialportfolios auf bis zu 60 Prozent «preferred materials» einen Netto-Umsatz-Zuwachs von bis zu 8 Prozent oder kumulativ 100 Millionen Dollar innerhalb von fünf Jahren bedeuten. «Es lohnt sich also, zum Pionierunternehmen zu werden und so schnell wie möglich sein Materialportfolio zu durchleuchten und anzupassen», sagt Philipp Meister. Eine solche Umstellung sei nicht nur ein Sachzwang, sondern bei einer zeitigen und konsequenten Umsetzung eine Chance, sich einen Vorteil gegenüber den Mitbewerbern zu verschaffen. Schnelles Handeln ist auch aus einem praktischen Grund eminent wichtig. Denn wenn alle Unternehmen der Branche ihr Materialportfolio anpassen, wird die Nachfrage nach «preferred materials» das Angebot bei Weitem übersteigen – der Bericht rechnet mit einem Unterangebot von bis zu 133 Millionen Tonnen im Jahr 2030.
Manifest als Grundlage
BCG, Quantis und Textile Exchange haben als allgemeine Hilfestellung für den Wandel ein Materialmanifest entwickelt. Es umfasst sechs Prinzipien, die Unternehmen der Mode-, Textil- und Bekleidungsbranche auf ihrem Weg in eine nachhaltigere Zukunft unterstützen sollen. Es umfasst
- das Wissen über die Umweltauswirkungen entlang der gesamten Produktionskette;
- das Erstellen einer wissenschaftlichen Basis für künftige Entscheidungen;
- die Diversifizierung des Materialportfolios;
- das Erstellen eines Geschäftsmodells, das für Unternehmen, Zulieferer und die Umwelt ein Gewinn ist;
- das Stärken der eigenen Produktionsketten;
- den Ansatz, Wissen, Instrumente und Anreize über alle Unternehmensstufen zugänglich zu machen.
«All diese Punkte hängen natürlich zusammen und müssen in ihrer Gesamtheit umgesetzt werden, will man auf der Materialebene erfolgreich sein», erläutert Philipp Meister. Gleichzeitig warnt der Quantis- Experte davor, das Manifest als universellen Problemlöser zu betrachten. «Es ist eine Grundlage, um das Thema zu verstehen. Die praktische Umsetzung muss dann individuell auf das jeweilige Unternehmen abgestimmt werden.»
Expertenwissen ins Haus holen
Es ist offensichtlich: Der Wandel hin zur Nachhaltigkeit ist für jedes Unternehmen ein hochkomplexer Prozess. Dies umso mehr, wenn man Nachhaltigkeit nicht mit dem Tunnelblick auf CO₂-Werte betrachtet, sondern das Thema als ein Konzept begreift, das aus einem Zusammenspiel ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte besteht. Für Philipp Meister ist es deshalb unabdingbar, dass sich Unternehmen entsprechendes Wissen ins Haus holen und die nötige Zeit und Energie investieren. «Es kommt nicht darauf an, ob Fachleute eingestellt und dadurch das Knowhow intern aufgebaut wird oder man eine Zusammenarbeit mit externen Beraterinnen und Beratern initiiert», so Meister, «aber ohne Expertenwissen wird der Wandel auf keinen Fall funktionieren.» Denn die Zeit der «Pflästerlipolitik» sei vorbei. Nachhaltigkeit muss ein integraler Bestandteil jeder Unternehmensstrategie der Mode-, Textil- und Bekleidungsbranche werden.
Weit- und umsichtig handeln
Noch ist die Nachfrage nach «preferred materials» (bevorzugten, weniger umweltschädlichen Materialien) gering. Angesichts der Tatsache, dass sich schon mehr als 85 Prozent der Mode-, Textil- und Bekleidungsunternehmen Ziele gesetzt haben, um ihre Lieferkette nachhaltiger zu gestalten, wird sich dies in Zukunft jedoch rasant ändern. Das Angebot wird mit der Nachfrage in absehbarer Zeit nicht mithalten können. Höhere Beschaffungspreise sind die Folge. Jetzt zu handeln bedeutet, langfristig erfolgreich zu sein. Dazu muss die Lieferkette mit all ihren Auswirkungen analysiert werden. Zudem muss das gewonnene Wissen über alle Unternehmensstufen verbreitet werden, damit ein ganzheitliches Geschäftsmodell entwickelt werden kann, von dem das Unternehmen, die Zulieferer und die Umwelt profitieren können.
Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von Boston Consulting Group (BCG) erstellt.