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Die europäische Industrie ist unter Druck, Emissionen zu reduzieren.

Die europäische Industrie ist unter Druck, Emissionen zu reduzieren. Bild: Stephane Mahe / Reuters

Wirtschaft

Die Schweiz verlässt sich auf Emissionseinsparungen im Ausland, um ihre Klimaziele zu erreichen. Die EU könnte bald folgen

Brüssel plant ein neues Klimaziel für 2040, stösst jedoch auf Widerstand bei Regierungen. Ein Kompromiss zur Verwendung internationaler Emissionszertifikate soll nun Abhilfe schaffen. Aber Forscher und Aktivisten schlagen Alarm.

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Die Schweiz verlässt sich auf Emissionseinsparungen im Ausland, um ihre Klimaziele zu erreichen. Die EU könnte bald folgen

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  • Die Schweiz kompensiert Emissionen über Klimaprojekte im Ausland, stolpert dabei jedoch über Kritik.
  • Ähnliches plant die EU für ihre Klimaziele bis 2040, stösst aber auf politischen Widerstand.
  • Kritiker und NGO warnen vor den Risiken internationaler Emissionsprojekte: unzuverlässige Reduktionen und mögliche Menschenrechtsverletzungen.
  • Experten fordern strengere Auswahlkriterien für Projekte, um Glaubwürdigkeit und Effektivität sicherzustellen.

Die Schweiz setzt seit Jahren auf Klimaprojekte im Ausland, um die eigenen Emissionen wettzumachen. Jetzt überlegt sich auch Brüssel, mittels internationaler Emissionszertifikate die EU-Klimaziele zu erreichen. Die Schweiz gerät dafür regelmässig in die Kritik. Nun trifft es die EU.

Der Auslöser dieser Debatte ist das geplante Klimaziel für 2040, das die EU-Kommission Anfang Juli vorstellen möchte. Seit Jahren verhandeln Beamte in Hinterzimmern über die geplanten Emissionsreduktionen auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050. Nun hoffen sie, mit einem politischen Kompromiss die Unterstützung von Regierungen zu erhalten.

Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dabei immer wieder ein Ziel von 90 Prozent in Aussicht gestellt. Das wird auch von einem Expertengremium für Klimafragen und Aktivisten unterstützt.

Regierungen bremsen Klimaziele

Das Problem: Viele EU-Regierungen unterstützen dieses Ziel gar nicht. Im Gegenteil. Sie sorgen sich um die Kosten für Industrie, Landwirtschaft und andere Wirtschaftssektoren, wo Emissionsreduktionen nur sehr aufwendig und teuer zu schaffen sind. Der politische Widerstand ist nicht überraschend. Vielerorts in Europa wächst die Kritik an den Klimazielen, vor allem in Ländern, wo konservative Parteien jüngst die Wahlen gewonnen haben.

Gleichzeitig erhöhen der sich zuspitzende Handelskrieg mit den USA, geopolitische Spannungen mit China und klamme Staatshaushalte den Druck auf das politische Establishment in Brüssel. Der Widerstand gegenüber den grünen Ambitionen ist dabei zunehmend ein Problem für den selbsternannten Klimaweltmeister. Er zwingt EU-Politiker und Beamte, die geplanten Auflagen angesichts der benötigten Investitionen und möglichen gesellschaftspolitischen Verwerfungen gegen andere politische Prioritäten abzuwägen – und gegebenenfalls auch aufzuweichen.

Brüssel hofft nun entsprechend, mit einem Kompromiss die Unterstützung von EU-Regierungen zu erhalten. So plant Wopke Hoekstra, der niederländische Klimakommissar, künftig auch Gutschriften aus ausländischen Klimaprojekten zuzulassen, wo Emissionen kostengünstiger reduziert werden können. Das sagt Peter Liese, ein deutscher Europaabgeordneter der CDU, im Gespräch. Er ist mit den Plänen vertraut.

Liese sagt, ohne solche Flexibilitäten werde es keine Unterstützung für ein neues Emissionsziel von 90 Prozent geben. Und auch mit einer solchen klimapolitischen Krücke werde es schwierig sein, EU-Regierungen dafür zu gewinnen. Das sei auch den Beamten in Brüssel klar. Es gebe deswegen Unterstützung von Ursula von der Leyen und Wopke Hoekstra, beides Vertreter der gleichen konservativen Parteifamilie wie Liese.

Zudem kommt Rückendeckung aus Deutschland, das für den Beschluss neuer Klimaziele ausschlaggebend ist. Denn im Koalitionsvertrag wurde verankert, dass die Regierung ein Klimaziel 2040 nur mit Verwendung von internationalen Emissionszertifikaten unterstützen wird.

Diese Position bricht jedoch mit einem klimapolitischen Leitsatz der EU. Jahrelang hatten sich Europapolitiker und Kommissionsbeamte gegen die Anrechnung von eingesparten Emissionen im Ausland gestemmt. Zu gross war die Sorge, dass die Klimaziele aufgrund unglaubwürdiger Projekte im Ausland untergraben werden würden. Schon in den 2000er Jahren hatte die EU schlechte Erfahrungen mit internationalen Emissionszertifikaten gemacht, insbesondere durch Projekte in China, die vorgegeben hatten, Industriegase zu zerstören. Daraufhin wurde 2013 ihre Verwendung für die europäischen Klimaziele verboten.

EU-Aktivisten und Forscher schlagen Alarm

Nun wächst der Widerstand erneut. Der unabhängige Beirat in Klimafragen mahnte vergangene Woche, dass ein Reduktionsziel von 90–95 Prozent für das Jahr 2040 sowohl erreichbar als auch in Europas eigenem strategischem Interesse sei – aber bloss nicht, indem man sich auf internationale Emissionsgutschriften verlasse! Die Forscher sagen, es bestehe die Gefahr, «dass dadurch Mittel von inländischen Investitionen abgezogen und die Integrität der Klimaziele untergraben werden könnte».

Die Schweiz ist mit solchen Kritikpunkten seit Jahren vertraut. Regelmässig wird sie für ihre Politik gerügt, die stark auf CO2-Einsparungen im Ausland setzt. Rund ein Drittel der gesamten Emissionsreduktion soll bis 2030 mit solchen Kompensationen erzielt werden. Die Schweiz ist damit auch einer der grössten Akteure in einem neuen internationalen Emissionsmarkt, der vergangenes Jahr im Rahmen des Pariser Klimaabkommens beschlossen wurde.

Auf Vanuatu werden Solaranlagen gebaut, Elektrobusse in Thailand finanziert und Holzsparkocher in Afrika gefördert. In den vergangenen Monaten haben Schweizer Politiker weitere Verträge unterschrieben, unter anderem um Elektrofahrräder in Ghana zu finanzieren.

Aber diese Projekte werden regelmässig von NGO angeprangert. Ende vergangenen Jahres etwa wies die Alliance Sud in einer Recherche warnend darauf hin, dass ein Kochofenprojekt in Ghana die geplanten Emissionsreduktionen weit überschätze. In einem Bericht von Radio SRF räumte auch die Stiftung Klimaschutz und CO2‑Kompensation (Klik) ein, dass der Wert der Emissionsreduktionen zu hoch liege. Die Organisation kauft für die Erdölimporteure die Kompensationen ein. Man rechne mit weitaus niedrigeren Emissionsreduktionen, hiess es in einer Stellungnahme.

Die Schweiz setzt auch auf Emissionsreduktionen im Ausland, um ihre Klimaziele zu erreichen und die Bemühungen vor Ort – etwa durch Solaranlagen in Lausanne – zu unterstützen. Bild: Denis Balibouse / Reuters

Umweltaktivisten in der EU schlagen jetzt schon Alarm. Am Mittwoch wurde ein Brief von über 125 NGO veröffentlicht. Darin machen sie warnend darauf aufmerksam, dass viele der Klimaschutzprojekte im Ausland nicht nachprüfbar seien und Emissionen nicht in dem versprochenen Ausmass reduzieren würden. Auch vor Ort bergen sie Risiken durch mögliche Menschenrechtsverletzungen. Die Verwendung von Gutschriften könne so gar die Emissionen erhöhen, sagt die NGO Climate Market Watch. Dabei werden die Schweiz und ihre Abkommen mit Thailand, Ghana und Guyana als negative Beispiele erwähnt.

Aktivisten sind besonders besorgt, dass sich Regierungen auf Auslandkompensationen verlassen könnten. Sie fordern, dass Regierungen die mühsamen Investitionen in grüne Energiequellen und Industrieprozesse zu Hause tätigen, anstatt sie ins Ausland zu verlagern.

Ein Preis auf Emissionen

Für Donna Lee von der Organisation Calyx Global ist diese Kritik nachvollziehbar. Ihr Unternehmen prüft und bewertet die Glaubwürdigkeit von Klimaschutzprojekten im Ausland und ermöglicht es Käufern so, qualitativ hochwertige Projekte auszuwählen.

Sie sagt jedoch, dass sie Regierungen eine zusätzliche und kostengünstige Option böten, um Emissionen zu mindern. Das könne Unterstützung für ambitionierte Klimaziele ermöglichen, die sonst am politischen Widerstand scheitern würden.

Ein Blick auf die Analysen von Calyx Global zeigt derweil, dass das Unternehmen viele Projekte findet, bei denen die versprochenen Emissionsreduktionen unglaubwürdig sind. Die Qualität der Zertifikate, die heute verkauft werden, ist laut Calyx’ Analysen in letzter Zeit gesunken. Der Grund? Eine grosse Menge an Krediten wurde für Kochherdprojekte vergeben, bei denen das Risiko besteht, geplante Emissionsreduktionen zu überschätzen. Gleichzeitig heisst es, dass in diesem Jahr die Qualität der Emissionszertifikate weiterhin höher sei als 2024.

Was bedeutet das nun für die europäische Debatte? Für Lee steht fest, dass es strenge Auswahlkriterien geben müsse. Nur so könne man sicherstellen, dass qualitativ hochwertige Projekte ausgewählt und zugelassen würden. Dabei geht es nicht darum, gewisse Projekte einfach auszuschliessen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um unter Projekten zu wählen. Darunter ist auch die Frage, ob die geplante Klimaschutzinvestition ohnehin stattgefunden hätte. Ein Beispiel: In einer Region, wo Investoren schon heute Solar- und Windparks finanzieren, besteht das Risiko, dass Zertifikate keine zusätzlichen Emissionsminderungen darstellen. Politiker sollten also die Finger von solchen Projekten lassen. Anders in armen Entwicklungsländern, wo es keine Infrastruktur für erneuerbare Energien gibt. Dort könnten solche Projekte einen Mehrwert liefern, sagt Lee.

Gleichzeitig sei es wichtig, konservativ bei der Anrechnung der erfolgten Emissionsreduktionen zu sein – und sich mit dem geringsten Wert zufriedenzugeben. In den vergangenen Jahren sind viele Unternehmen genau dafür kritisiert worden: «heisse Luft» zu kaufen und Emissionsminderungen anzurechnen, die so gar nicht stattgefunden haben.

In der EU nimmt die Diskussion um die Verwendung internationaler Zertifikate nun Fahrt auf. Für Lee ist dabei die Frage, die sich die beteiligten Entscheidungsträger stellen sollten: «Wie können wir Emissionsreduktionen maximieren?» Und nicht: «Sind diese Gutschriften perfekt?»

Kalina Oroschakoff, «Neue Zürcher Zeitung» (13.06.2025)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

8 - Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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