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Säugetiere wie Buckelwale oder Elefanten sind gross und schwer. Doch ihre Biomasse ist viel geringer als die der Menschheit.
Säugetiere wie Buckelwale oder Elefanten sind gross und schwer. Doch ihre Biomasse ist viel geringer als die der Menschheit.

Illustration Anja Lemcke / NZZ

Lebensräume

Heute dominieren Mensch und Nutztiere die Biomasse der Erde. Das war nicht immer so

Wissenschafter haben die Biodiversität nicht anhand der Artenzahl, sondern des Gesamtgewichts einzelner Gruppen berechnet. Ihre Zahlen zeigen den immer grösser werdenden Raum, den die Menschheit für sich beansprucht.

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Heute dominieren Mensch und Nutztiere die Biomasse der Erde. Das war nicht immer so

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Äpfel mit Birnen zu vergleichen, ist verpönt, aber gegen Kühe und Blauwale hat niemand je etwas gesagt, also los: Dreihundert Kühe sind ein Blauwal.

Eine Milchkuh wiegt etwa 500 Kilogramm, ein ausgewachsener Blauwal 150 000 Kilogramm. Er ist das schwerste Tier, das jemals auf der Erde gelebt hat. Auch andere Wildtiere sind ziemlich wuchtig: Buckelwale, Elefanten, Walrosse und so weiter. Und die Welt ist weit und voller wilder Tiere – sollte man meinen. Woraus also besteht mehr tierische Biomasse auf der Erde, was wiegt mehr: alle domestizierten Säugetiere wie Kühe – oder alle wilden Säugetiere?

Tatsächlich ist laut einer Berechnung von 2023 heute die Biomasse der Hunde allein grösser als die aller wild lebenden Säugetiere auf der Erde.

Vor 170 Jahren war das noch anders: Damals war das Verhältnis der Biomasse aller wild lebenden Säugetiere zu der aller Menschen plus der domestizierten Säugetiere eins zu eins. Heute ist es eins zu zwanzig.

Das ist eines der Ergebnisse einer Studie, die Wissenschafter um Ron Milo vom Weizmann-Institut in Israel in der Fachzeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht haben und mit der sie ihre Zahlen aus der Studie von 2023 ergänzen.

Biodiversität wird oft mit der Anzahl von Arten gemessen. Milo und seine Kollegen beschreiben mit der Biomasse das Verhältnis von Mensch und Natur auf einer anderen Ebene – und mit sehr klaren Aussagen.

Weniger wilde Säugetiere, mehr Nutztiere und Menschen

1850 war die Biomasse von wilden Säugetieren gleich gross wie die von Menschen und domestizierten Säugetieren, also Nutztieren, zusammen. Heute machen laut den Wissenschaftern Menschen und Nutztiere 95 Prozent der Biomasse aus, wilde Säugetiere 5 Prozent.

Zum einen gibt es weniger wilde Säugetiere als vor 170 Jahren. So wurde der Walbestand durch den kommerziellen Fang dezimiert, auch afrikanische Elefanten gibt es viel weniger als 1850. Die Biomasse der afrikanischen Elefanten allein war damals so gross wie die aller wilden Landsäugetiere zusammen.

Heute ist der Weisswedelhirsch aus Nordamerika das Landsäugetier mit der grössten Biomasse. 45 Millionen dieser Tiere laufen dort herum, 2,7 Millionen Tonnen Gesamtgewicht. Doch im Vergleich zum Verlust der Biomasse durch die Dezimierung der Elefanten sei das vernachlässigbar, schreiben die Wissenschafter: Ein Weisswedelhirsch wiegt bis zu 150 Kilogramm, ein Elefant 6000 Kilogramm.

Der andere Grund, weshalb die Biomasse heute so anders verteilt ist: Es gibt mehr Menschen – 8 Milliarden im Vergleich zu den 1,2 Milliarden von 1850 –, und sie halten viel mehr Säugetiere für ihre Zwecke.

Die Biomasse der Rinder hat sich seit 1850 vervierfacht, bei Schweinen sogar verzehnfacht. Die Ausnahme sind Pferde: Ihre Zahl und damit Biomasse war 1920 am grössten und ist jetzt wieder ungefähr so gross wie 1850.

Die Biomasse der Menschheit berechneten die Wissenschafter aus der Bevölkerungsgrösse und der durchschnittlichen Körpermasse, und nicht nur der erste Faktor hat sich verändert: Die Menschen sind auch schwerer geworden, ihre Körpermasse ist 30 Prozent grösser als damals.

Das Gleiche gilt für die domestizierten Tiere: Sie wurden in den vergangenen Jahrzehnten auf maximalen Fleischertrag und damit höheres Gewicht gezüchtet. Für die Berechnung nutzten die Wissenschafter die niedrigsten Werte bei der Körpermasse, nämlich die aus Afrika. Die Verschiebung ist trotzdem offensichtlich.

Menschliche Mobilität bewegt mehr Biomasse als tierische Wanderungen

Die Mobilität der Menschheit bewegt 40-mal so viel Biomasse wie alle tierische Mobilität zusammen.

Buckelwale wiegen dreissig Tonnen und schwimmen jedes Jahr vom Äquator in die Polregionen und wieder zurück, insgesamt fast einmal die Meridianlänge der Erde.

Trotzdem manövrieren die etwa 80 000 weltweit existierenden Buckelwale nur so viel Biomasse wie die 80 Millionen Menschen in Deutschland, die allein innerhalb der Landesgrenzen je etwa 15 000 Kilometer im Jahr zurücklegen. Insgesamt bewegt die Menschheit mit Flügen, Motorfahrzeugen, Fahrrädern und zu Fuss 40-mal so viel Biomasse wie alle Tiere auf der Erde zusammen.

Das schreiben Wissenschafter des gleichen Instituts in einem zweiten Aufsatz, der zeitgleich erschienen ist. Sie multiplizierten dafür die Biomasse einer Gruppe mit der pro Jahr zurückgelegten Entfernung.

Auch andere berühmte Tierwanderungen fallen gegenüber menschlichem Verhalten kaum ins Gewicht. So bewegt sich bei der jährlichen Migration von mehr als einer Million Gnus, Gazellen und Zebras in der Serengeti-Savanne in Ostafrika ungefähr die gleiche Menge Biomasse, wie wenn Menschen zu einer Fussball-WM oder dem Hajj in Mekka reisen. Allerdings geschieht beim Menschen nur noch ein vergleichsweise kleiner Teil dieser Fortbewegung zu Fuss.

Die einzigen Tiere, die es bei diesen Vergleichen wenigstens mit der nichtmotorisierten Bewegung menschlicher Biomasse aufnehmen können, sind nicht Wale, nicht Gnus und nicht Zebras. Es sind Planktontierchen und Fische, die in Wassertiefen von etwa 200 bis 1000 Metern leben.

Viele von ihnen schwimmen jeden Tag zur Nahrungsaufnahme und zum Schutz vor Fressfeinden in der Wassersäule auf und ab. Je Individuum ist das etwa ein Kilometer pro Tag – nicht sehr viel. Doch als Masse machen diese Tiere fünf Gigatonnen aus.

Es geht nicht um genaue Zahlen, sondern um die Grössenordnung

Alle diese Zahlen sind Schätzungen auf Grundlage vorhandener Daten. Der heutige weltweite Bestand an Rindern lässt sich dank landwirtschaftlichen Registrierungspflichten relativ verlässlich beziffern, und die menschliche Weltbevölkerung wird genau erfasst. Für wild lebende Wale hingegen besteht keine Meldepflicht. Ihre Zahl lässt sich nur schätzen, für heute kaum präziser als für das Jahr 1850.

Aber selbst mit einem sehr grossen Fehlerbereich bei den wilden Säugetieren: An der Grössenordnung ändert sich nichts. Gegen Milliarden Kühe haben Tausende Blauwale keine Chance.

Esther Widmann, Anna Weber «Neue Zürcher Zeitung» (28.10.2025)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

15 - Leben an Land

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