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Bild: Pixabax

Produktion & Konsum

Ist die Zukunft der Food-Branche weiblich, fleischlos und regenerativ?

Was und wie wir in Zukunft essen, zeigt der neue Food-Report 2024. Ein Überblick über die wichtigsten Themen.

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Ist die Zukunft der Food-Branche weiblich, fleischlos und regenerativ?

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Freilich machen Insekten im Restaurant oder die ersten klimaneutralen Steaks neugierig. Doch eine gewisse Konsolidierung und der Spagat zwischen unserer Ernährungssicherheit und dem Klimawandel sind der rote Faden im Food-Report 2024. Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben die Schwachstellen unserer Food-Systeme aufgezeigt, aber auch dessen vielfältige Innovationskraft angekurbelt. Was bleibt, ist ein offener Blick auf wichtige Zukunftsfragen: Werden Fleischersatzprodukte zum neuen Standard und Fleisch zum Problemfall? Wie entwickeln sich regionale Lebensmittel zwischen exotischen, traditionellen und sozioökonomischen Impulsen? Können wir den Klimawandel bekämpfen, wenn wir Lebensmittel aus regenerativer Landwirtschaft essen? Und wie verändern Frauen künftig die Branche? Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler ist ihnen im neuen Food-Report nachgegangen.

Wird Plant Based zum neuen Standard und Fleisch zum Problemfall?

Seitdem die grossen Retailer Lupinenschnitzel, Sojawürste und Vegi-Hack im Standardsortiment anbieten, sind pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte aus dem Nischendasein herausgetreten. Kohlenhydratarm, Gluten- und GMO-frei, dafür reich an guten Fettsäuren und Ballaststoffen – mehr Nährwertoptimierung geht fast nicht. Sie haben sich in der Nahrungsmittellandschaft breit etabliert und können weiterhin mit wachsender Beliebtheit rechnen. Auch bei Flexitariern, die vermehrt darauf zurückgreifen. Was sie mit Veganern eint, ist das Klima- und Umweltbewusstsein.

Beim Klimaargument ist der Fokus jedoch zu schärfen. Denn es gibt nach wie vor nur wenige Studien, die den gesamten Energie- und Landverbrauch der Produktionsketten erfassen. Auch Laborfleisch ist hier als künftiger Heilsbringer en vogue. Dass gerade kürzlich die Gesundheitsbehörden in den USA grünes Licht für Laborfleisch gegeben haben, ist ein Meilenstein für diese junge Technologie. Aber auch hier gibt es noch offene Fragen zur Ökobilanz, zu den Produktionskapazitäten und zum Einsatz von tierischen Stammzellen.

Plant Based – sei es als Ersatz für Fleisch, Fisch, oder Milch – bleibt populär. Die etablierten Hersteller von Fleischersatz erreichen mit Filetspitzen, Hühnerbrüsten oder Flank-Steaks das nächste Level der Gourmetstücke. Thunfisch auf Algenbasis des Startups Bettafisch wird dank dem Zusammenschluss mit einer Gastrokette europaweit in 160 Restaurants serviert. Und in ausgewählten Restaurants – in Zürich beispielsweise das «Kle» oder die «Neue Taverne» – avanciert Gemüse zur Hauptrolle kulinarischer Erlebnisse.

Fleisch, wie wir es bisher herstellen und konsumieren, wird zum Problemfall für unsere individuelle Gesundheit und die Gesundheit des Planeten. Zukunftsfähige Lösungen zeigen Produzenten, denen es gelingt, Klimaverträglichkeit, artgerechte Haltung und Qualität vor Quantität bestmöglich zu vereinen. In britischen Restaurants gibt es seit 2021 «carbon consciouse beef», das klimaneutrale Steak. Es stammt aus nachhaltiger Landwirtschaft. Spitzenköche unterstreichen in Nose-to-Tail-Gerichten vermehrt den Wert des Fleisches. Und wer alte Rinder- und Schafrassen auf über 2000 Meter über Meer züchtet, wie die Alpenmanufaktur im Ötztal, produziert nicht nur Premiumfleisch, sondern kann vermitteln, wie die Tiere optimal an die Gegebenheiten angepasst sind.

Regionalität neu interpretiert – glocal, local, brutal lokal

Regionale Lebensmittel sind beliebt. Die Region als Herkunftsort und traditionelle Herstellungsverfahren werden als Qualitätskriterien seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wahrgenommen, lange bevor die Globalisierung richtig Fahrt aufnahm. Die Corona-Pandemie gab regionalen Produkten einen Boost. Zwei Hauptrichtungen sind auszumachen. Zunächst traditionelle Lebensmittel aus unseren Breiten: Obst, Gemüse, Kräuter und Getreide, auch von alten Sorten, die vermehrt direkt beim Bauern gekauft werden.

Zweitens das Exotische aus der Region: Das sind Shrimps und Kaviar aus den Alpen, Pak Choi, Reis, Quinoa, Ingwer und Safran – exotische Pflanzen und Tiere, die seit kurzem in unseren Breiten produziert werden. Reif in der Saison geerntet schmeckt Regionales besser, enthält aufgrund der Frische mehr Nähr- und Vitalstoffe und ist oft auch günstiger als Importware.

Neue Impulse entstehen, wenn Aspekte von Circular Food oder sozioökonomisches Engagement einfliessen. Wenn bei der Appenzeller Brauerei Locher aus den Nebenprodukten Biertreber und Bierhefe Pizza, Chips und Müesli entstehen, werden wertvolle Nährstoffe wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt.

Wenn, wie bei BioBalkan in Österreich, Spezialitäten vom Balkan unter dem Stichwort «Gutes vom Nachbarn» in unseren Breiten vertrieben wird, um in einer der ärmsten Regionen Europas klein strukturierte Betriebe zu fördern. Oder, wenn in Kolumbien die Spitzenköchin Leonor Espinosa mit ihrer Stiftung Funelo ethische Minderheiten und die kulinarische Tradition des Landes unterstützt.

Radikal interpretiert wird der regionale Gedanke von der Avantgarde-Gastronomie Skandinaviens. Raue Witterungsbedingungen und lange Winter waren keine Hindernisse, eine regionale hochstehende Esskultur zu entwickeln. Die Zutaten bestehen ausschliesslich aus dem, was das Klima, das Wasser und der Boden der jeweiligen Region hergibt, inklusive Gräser, Flechten und Pilze.

Wenn sich die Spitzengastronomie ganz konsequent der regionalen Idee verschreibt, sind Beharrlichkeit und Geduld gefordert. Beides brachte in der Schweiz beispielsweise Stéphane Décotterd auf, dessen Küche nach einer vierjährigen Umstellungsphase heute zu hundert Prozent lokal ist.

Was die verschiedenen Interpretationen von regional vereint, sind zentrale Werte wie Besinnung auf Ursprung, Förderung lokaler Strukturen und Reduzieren von Abhängigkeiten.

Frauen im Food- & Beverage-Business

Der Frauenanteil in der Food-Branche wächst. Ob als Spitzenköchinnen, Startup-Gründerinnen, Food-Technologinnen, Winzerinnen oder in Food-Konzernen. Frauen werden zunehmend sichtbarer in Bereichen, die ehemals Männern vorenthalten waren. Dass die Weinwelt weiblicher wird, ist schon länger zu beobachten. Oftmals liegt der Fokus auf ökologischem Anbau und Nachhaltigkeit. Winzerinnen zeichnet der Mut zu neuen und alternativen Rebsorten und Experimentierfreude bei alten Sorten aus. Sie übernehmen Weingüter, schliessen sich und andere Newcomerinnen auf Plattformen wie «Women Owned Wineries» zusammen und promoten, wie Vinodea in Wien, den Vertrieb von Wein aus Frauenhand.

In der Startup Szene geben Forscherinnen und Managerinnen wichtige Impulse bei den Zukunftsthemen Nachhaltigkeit, Gesundheit und Upcycling. Im Projekt Polycycle beispielsweise untersucht die Mikrobiologin Elisa Mayrhofer, wie die Gesundheitsrisiken von rezykliertem Kunststoff zuverlässig bestimmt werden können. Anke Domaske, ebenfalls Mikrobiologin, tüftelte an einem Verfahren, um aus saurer Milch Textilfasern zur Herstellung von Öko-Mode zu gewinnen. «Too Good To Go», die App, die in neun europäischen Ländern Lebensmittel vor Food-Waste rettet, wird von Mette Lykke geleitet. Und die Schweizer Lebensmittelwissenschafterin Doris Erne, will via Upcycling-Molke zu Proteinpulver für Shakes und Porridge verarbeiten.

Im soziokulturellen Bereich bauen Frauen Netzwerke und Think Tanks auf, um die Zukunft der Ernährung zu gestalten. Oder sie schreiben, wie die mehrfach ausgezeichnete mexikanische Spitzenköchin Elena Reygadas, Stipendien aus, um Frauen in Führungspositionen in der Gastronomie zu stärken.

Frauen als Sterneköchinnen sind in der Spitzengastronomie immer mehr präsent. Im Biosektor steigen junge Bio-Bäuerinnen immer häufiger in die Betriebsleitung ein. Und auch die grossen Nahrungsmittelkonzernen ziehen in Anlehnung an das SDG Nr. 5 der Uno «Geschlechtergleichstellung» nach und wollen den Frauenanteil steigern.

Sind Sie schon Reginovor oder Klimaterier?

Wenn Sie auf die Frage «Reginovore oder Klimatarier?» keine Antwort wissen, ist das nicht weiter schlimm. Denn die Vielfalt und Dynamik von Zugehörigkeitsbegriffen bei Food-Communities ist komplex. Reginovore und Klimatarier unterstützen die regenerative Landwirtschaft. Und es liegt auf der Hand zu fragen, wie sie sich von der Agrarökologie oder der biologischen Landwirtschaft abgrenzt.

Der noch junge Trend kennt im Vergleich zu Bio oder Demeter keinen strikten Massnahmenkatalog mit zertifiziertem Qualitätslabel. Die elementarste Einheit ist der Ackerboden und wie er zur Lebensmittelerzeugung kultiviert und regeneriert wird. Sprich: Unsere Böden sollen uns nicht nur ernähren, sondern wieder gesunden, um mehr CO₂ zu speichern und den Klimawandel einzudämmen. Erreicht wird das mit einem Set von Handlungsgrundsätzen.

Es sind Neueinsteiger und Umsteiger von Öko und traditioneller Landwirtschaft, die nach den regenerativen Praktiken arbeiten. Auf Plattformen wie soilify.org, bodenleben.at oder agricultura.regeneration.ch vernetzen sie sich zum Erfahrungs- und Informationsaustausch.

Bestseller wie «Rebellen der Erde» tragen den Trend in die breite Gesellschaft. Und dass guter Geschmack die Welt verändern kann, was schon mit gesundem Saatgut beginnt, davon ist man bei «row7seeds» überzeugt, einem Saatguthersteller, bei dem Landwirte eng mit Chefs zusammenarbeiten. Inzwischen gelingt einigen Produzenten sogar «plant based organic farming», das heisst keinerlei Einsatz von tierischem Dünger.

Dem regenerativen Ansatz wird ein grosses Potenzial im Kampf gegen den Klimawandel zugeschrieben. Das zeigt auch das wachsende Bildungsangebot, wie der «Master of Preneurship for Regenerative Food Systems» der ZHAW in der Schweiz, oder das «RegAgri4Euroep-Pojekt», im Rahmen des Erasmus+-Programme der Europäischen Union.

Minimale Bodenstörung - Was ist damit gemeint?

Minimale Bodenstörung, das heisst, auf Pflügen wird verzichtet. Biodiversität in und über dem Boden durch Anpflanzen geeigneter Nutzpflanzen. Permanente Bodendeckung, um Erosion zu verhindern. Gute Durchwurzelung, um die Speicherfähigkeit und die Bodenstruktur zu verbessern. Kein Einsatz von synthetischen Düngern und chemischem Pflanzenschutz. Und auch Tiere werden wieder integriert. Denn bei richtiger Weidehaltung leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Bodengesundheit.

Dorothee Neururer, «NZZ Bellevue» (14.07.2023)

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