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Jonas Projer, Chefredaktor NZZ am Sonntag

Bild: Martina Meier

Gesellschaft

Klimagesetz: Hält die Eidgenossenschaft ihren Eid?

Das Klimagesetz gewinnt keinen Schönheitspreis und kennt nicht alle Antworten auf die Energiefragen von morgen. Doch es ermöglicht der Schweiz, weiter nach Lösungen zu suchen.

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Klimagesetz: Hält die Eidgenossenschaft ihren Eid?

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An einem Freitag im Herbst entschied sich die Schweiz für den Klimaschutz. Es war der 6. Oktober 2017, ein wunderbarer Altweibersommer begann, südlich der Alpen und in der Westschweiz wurde es der sonnigste Oktober seit Messbeginn. Der Entscheid, das Klima zu schützen, fiel fast unbemerkt, nur der schweizerischen Depeschenagentur war er eine Meldung wert. Er fiel, wie in dieser Konsensdemokratie viele wichtige Entscheide fallen: durch das Verstreichen einer Referendumsfrist. Keiner hatte Einspruch erhoben gegen das kühne Versprechen, welches der Bundesrat mit 195 anderen Staaten ausgehandelt und das Parlament bestätigt hatte. Auch die SVP blieb stumm. Und so verpflichtete sich die Schweiz an jenem Herbsttag zum Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, wenn möglich auf 1,5 Grad: Sie ratifizierte das Klimaabkommen von Paris.

Um dieses Abkommen von Paris geht es heute, bei der Abstimmung über das neue Klimagesetz. Hält die Eidgenossenschaft ihren Eid? Oder zieht sie das Versprechen zurück, bevor sie es einlösen müsste, aus Angst vor zukünftigen Gesetzen, in vorauseilendem Ungehorsam?

Zwei Wochen vor dem Urnengang produziert dieser Abstimmungskampf so viel heisse Luft, dass sich das Klimagesetz im Dunst nur noch erahnen lässt. Die Gegner kritisieren, dass die Vorlage keine Lösung für das Klimaproblem enthalte, aber wegen genau dieser – nicht enthaltenen – Lösung ruinös teuer sei. Dasselbe magische Denken lassen manche Befürworter erkennen. Natürlich mit umgekehrten Vorzeichen: Das Gesetz stärke den Klimaschutz, findet der Bundesrat, bedeute aber «keine zusätzlichen Steuern oder Abgaben». Eine kleine Vorlage mit sehr beschränkter Wirkung wird zur Utopie und Projektionsfläche aufgeblasen, auf der die wildesten Träume ihrer Befürworter mit den dunkelsten Verlustängsten ihrer Gegner kollidieren.

Was also steht wirklich drin im Gesetz, über das wir am 18. Juni entscheiden? Im Wesentlichen die Ziele von Paris. Internationale Verträge sind luftige Gebilde, sie gleichen Quellwolken, die dem fernen Betrachter Konturen und Substanz zeigen, aber immer diffuser und flüchtiger werden, je näher man ihnen kommt. Wer sie fassen und auf den Boden des nationalen Rechts stellen will, muss ihre Form in mühseliger Kleinarbeit nachbilden, mit den Mitteln des Machbaren und den Händen all jener, die er davon überzeugen kann.

Jonas Projer

«Hält die Eidgenossenschaft ihren Eid? Oder zieht sie das Versprechen zurück, bevor sie es einlösen müsste, aus Angst vor zukünftigen Gesetzen, in vorauseilendem Ungehorsam»

Jonas Projer

Chefredaktor, NZZ am Sonntag

Kein Wunder, dass damit kein gesetzgeberischer Schönheitspreis zu gewinnen ist. Auch das Klimagesetz ist eher missraten, es ist, wie die FDP es formuliert, ein «klassischer schweizerischer Kompromiss». Das internationale Versprechen von Paris wurde zwar in nationale Ziele übersetzt, in einen CO₂-Emissionen-Absenkpfad. Doch einen Weg, um diese Klimaziele zu erreichen, sucht man im Gesetz vergeblich. Dafür werden eher zufällig einige Milliarden an Subventionen verteilt, unter anderem für den Ersatz von Öl- und Gasheizungen. Vermutlich hilft diese Massnahme der Umwelt. Sicher hilft sie den schweizerischen Eigenheimbesitzern, die man für den Kompromiss zu gewinnen suchte – erfolglos, der Verband scherte trotzdem aus.

Nüchtern lässt sich festhalten, dass dieses Klimagesetz weitgehend wirkungslos bleiben wird. Grotesk ist die Behauptung der SVP, dass der Bundesrat auf der Basis eines so vagen Gesetzes zu Notrecht greifen könnte. So sehr es in diesem Land der Langsamkeit plötzlich schnell gehen kann, wenn eine Bank vor Börseneröffnung gerettet, eine zweite verscherbelt oder ein Lockdown verhängt werden soll, weil der R-Wert explodiert, so illusorisch ist die Aushebelung demokratischer Prozesse in der Klimafrage. Deren Lösung wird nie per Notrecht erfolgen, weil sie nie in höchster Dringlichkeit gesucht werden muss. Weil sie immer auf die nächste Session verschoben werden kann, auf die nächste Volksabstimmung, auf die Zukunft.

Genau deshalb wurde die Lösung bisher auch nicht gefunden. Die Klimakonferenz von Paris eröffnete unserem Land, im Verbund mit der Weltgemeinschaft, erstmals einen anderen Weg. Die Schweiz fand in Paris zwar keine Lösung für die Klimafrage und schon gar kein Rezept, wie die politischen Mehrheiten für griffige Massnahmen zu gewinnen sind. Aber sie bekannte sich zu einem Ziel, sie wagte den ersten Schritt, obwohl sie die nächsten tausend nicht kannte. Falls wir nun den zweiten machen und Ja sagen zum Klimagesetz, gewinnen wir wenig und verlieren fast nichts. Das Klima erwärmt sich weiter, Energie bleibt billig, eine wirksame Begrenzung unserer CO₂-Emissionen ist ungewiss.

Verweigern wir jedoch diesen kleinen zweiten Schritt, so scheint Klimaschutz in der Schweiz auf absehbare Zeit chancenlos. Wenn selbst ein so minimales, fast wirkungsloses Klimagesetz an der Urne scheitert, dann muss dies als ebenso klarer Entscheid gelesen werden wie die stille Ratifizierung des Pariser Abkommens an jenem Oktobertag. Es wäre ein Entscheid, dass dieses reiche, gebildete und technologisch hochentwickelte Land auch in Zukunft fossile Energien nutzen, den wahren Preis dafür aber nicht zahlen will. Dass wir die Kosten des CO₂-Ausstosses weiterhin auf die Allgemeinheit und künftige Generationen abwälzen, wie wir es seit Jahrhunderten ohne böse Absicht taten – nun allerdings ganz bewusst.

Jonas Projer, «NZZ Magazin» (03.06.2023)

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