Es ist erst rund zwei Jahre her, seit das CO₂-Gesetz von der Schweizer Stimmbevölkerung knapp abgelehnt wurde. Im kommenden Juni steht die nächste Runde im Ringen um die Weichenstellung bei der eidgenössischen Klimaschutzpolitik an, wenn über den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative abgestimmt wird, der Vorlage zum nationalen Klima- und Innovationsgesetz.
An einer Podiumsveranstaltung von «NZZ Live» am 15. Mai 2023 in Zürich haben unter der Gesprächsleitung von David Vonplon, Redaktor im Inlandressort der «Neuen Zürcher Zeitung», je zwei Parlamentarier und Vertreter der Wirtschaft über das Thema «Klimaschutzgesetz – wie weiter?» debattiert. Dabei ging es auch darum, ob das Ziel Netto-Null bis 2050 realistisch ist und welche Kosten der Ausstieg aus den fossilen Energien verursacht – mit besonderem Fokus auf die Unternehmen. Unterstützt wurde das Diskussionsformat von den Sponsoringpartnern Swisscleantech, dem Wirtschaftsverband mit über 600 Mitgliedern aus allen Branchen, der sich seit mehr als zehn Jahren für eine klimaneutrale Schweiz einsetzt, und dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA (siehe Infobox unten).
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Anreize statt Verbote
Eingangs zeigte Fabian Etter, Co-Präsident von Swisscleantech und Mitinitiant der Allianz «Schweizer Wirtschaft für das Klimagesetz», den geplanten CO₂-Abbaupfad auf, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. «Das Klimaschutzgesetz als Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative bringt uns der Umsetzung des Pariser Abkommens näher.» Und er erklärte, dass nebst dem Klimaschutz auch die Innovation und die Energiesicherheit wichtige Pfeiler des Gesetzes seien. «Es sollen grundsätzlich Anreize und nicht Verbote im Vordergrund stehen.» Dies alles schaffe Planungssicherheit, die gerade für die Unternehmen wichtig sei. «Deshalb hat sich eine breite Wirtschaftsallianz gebildet, die sich für ein Ja an der Urne einsetzt. Verbände aus allen Branchen unterstützen die Vorlage», sagte er.
Hermann Hess, Unternehmer in den Bereichen Immobilien und Tourismus sowie alt FDP-Nationalrat aus dem Kanton Thurgau, fördert, wie er ausführte, seit rund 30 Jahren den Klima- und Umweltschutz. «Die Reduktion des CO₂-Ausstosses in der Schweiz ist schon seit dem Jahr 2000 im Gang und hat die Schweiz international auf die vordersten Ränge gebracht.» Darum soll es aktiv so weitergehen wie bisher, aber ohne dieses unnötige Gesetz.
«Die Reduktion des CO₂-Ausstosses in der Schweiz ist schon seit dem Jahr 2000 im Gang.»
Hermann Hess
Für Regine Sauter, Direktorin der Zürcher Handelskammer und FDP-Nationalrätin aus dem Kanton Zürich, hingegen ist das Klimagesetz wichtig, weil der CO₂-Rückgang zu langsam sei. «Es braucht Ziele, um aufzuzeigen, wohin es gehen soll.» Subventionen, wie im Gesetz vorgesehen, findet sie zwar nicht ideal und widersprächen ihrem liberalen Denken, aber man müsse realistisch und fähig sein, Kompromisse zu schmieden.
Für Christian Imark, Unternehmer und SVP-Nationalrat aus dem Kanton Solothurn, ist klar, dass die Schweiz die gesetzten Klimaziele wegen des Bevölkerungswachstums gar nicht erreiche könne. «Gerade weil es im Gesetz fast nur Ziele und keine Massnahmen hat, verkauft man der Bevölkerung etwas, ohne die einschneidenden Folgen zu kennen», erklärte er.
Knackpunkt Zuwanderung
Fabian Etter wies darauf hin, dass die Schweiz nicht auf Zielkurs sei. «Die Zuwanderung könne man nicht einfach herausrechnen, denn sie ist ja da.» Die Schweiz als innovatives und wohlhabendes Land sei in der Lage, ihre internationalen Verpflichtungen im Klimaschutz zu erfüllen. Die Zuwanderung sei keine Ausrede, dass die Ziele nicht erreicht würden.
Dieser Argumentation wollte Hermann Hess nicht folgen, denn es sei doch klar, dass 2 Millionen mehr Menschen jetzt in der Schweiz CO₂ verursachten und dafür nicht anderswo. «Meiner Meinung nach müsste man den Pro-Kopf-Ausstoss als Vergleichswert herbeiziehen», sagte er. Dann schneide die Schweiz nämlich gut ab: «In der EU beträgt der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoss 7,5 Tonnen pro Jahr, in der Schweiz 4,3 Tonnen und in Deutschland 9 Tonnen.» Gerade in Deutschland sei die Energiewende wegen der anhaltenden Stromproduktion mit Kohle gescheitert. In der Schweiz passiere hingegen auf freiwilliger Basis schon sehr viel. «Die bei uns geltende Abgabe von 120 Franken pro Tonne CO₂-Ausstoss sei weltweit der höchste Betrag», erklärte er.
NZZ Live
«Klimaschutzgesetz – wie weiter?», lautete die zentrale Frage zur Debatte am Hauptsitz der NZZ in Zürich.
Regine Sauter betonte die Wichtigkeit der technologischen Fortschritte. «In diesem Bereich kann die Schweiz viel beitragen und Innovationen entwickeln, die auch im Ausland einsetzbar sind.» Nicht vergessen dürfe man, dass die sehr international verflochtene Schweiz viel CO₂ in anderen Ländern mitverursache.
Christian Imark warf dem Freisinn vor, sich mit Links-Grün zu verbünden. Denn es sei heute schon klar, dass es bei einem Ja Verbote geben werde, etwa von Verbrennungsautos, Öl- und Gasheizungen oder Fleischkonsum. Darauf entgegnete Regine Sauter, dass die konkreten Massnahmen immer noch das Parlament zu beschliessen habe und dass es allenfalls Volksabstimmungen geben werde. Als gutes Beispiel nannte sie Lenkungsabgaben, die auch ein liberales Instrument seien. «Verbote sind dann nicht nötig.»
Fehlende Massnahmen
Dass Klimaschutz und Wohlstand einhergehen, steht für Fabian Etter ausser Frage. «Unbestritten ist auch, dass in der Schweiz noch nie ein ökologisches Problem nur mit Eigenverantwortung gelöst wurde», betonte er. Es brauche einen gesetzlichen Rahmen, sonst passiere zu wenig.
Christian Imark entgegnete, dass im Gesetz keine Massnahmen formuliert seien, weil es sonst an der Urne nicht mehrheitsfähig wäre. Das sei unehrlich und eine Mogelpackung. Weil Klima- auch Strompolitik sei, stehe die Schweiz wegen der Wasser- und Atomenergie noch gut da. «Wenn aber die CO₂-freie Kernenergie wie geplant wegfällt, dann verschärft sich das Stromproblem.» Und da habe niemand eine Lösung.
«Wenn aber die CO₂-freie Kernenergie wie geplant wegfällt, dann verschärft sich das Stromproblem.»
Christian Imark
Auf die Frage des Gesprächsleiters, was er von den vorgesehenen Subventionen von 2 Milliarden Franken für Gebäudesanierungen halte, erwiderte Hermann Hess, dass sie untauglich seien, weil die Immobilienbesitzer die Instandhaltung im gleichen Zehn-Jahres-Zeitraum im Umfang von 150 Milliarden Franken in ihrem eigenen Interesse machen würden.
Fabian Etter zeigte sich überzeugt davon, dass diese Entwicklung mit finanzieller Unterstützung schneller vorangeht als ohne, gerade beim Ersetzen der Elektroheizungen, die 10 Prozent des Winterstroms beanspruchen würden. Die Ambitionen seien hoch, aber erreichbar. Ausserdem, so Regine Sauter, gebe es mit dem sogenannten Mantelerlass im Parlament eine klare Strategie, wie die Stromproduktion zu erhöhen sei, etwa mit Photovoltaik und Wasserkraft.
Offenheit für Technologie
Einig waren sich Hermann Hess, Regine Sauter und Christian Imark darin, dass man Technologieverbote aufheben, alle Energieträger effizient nutzen und auch der Kernkraft weiterhin eine Chance geben muss. Bestehende Kernkraftwerke seien so lange in Betrieb zu behalten, wie sie sicher und wirtschaftlich funktionieren und nicht an einem beliebigen Tag abzustellen.
Bezüglich Kostenfolge des Klima- und Innovationsgesetzes strich Fabian Etter heraus, dass viele Unternehmen wirtschaftliche Chancen sehen würden. «Wir können mit viel zusätzlicher Wertschöpfung und neuen Jobs rechnen.» Christian Imark hingegen befürchtet eine massive jährliche Mehrbelastung pro Person von bis zu 6600 Franken.
«Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien den zusätzlichen Strombedarf abdecken können.»
Fabian Etter
Dass die Unternehmerverbände das Gesetz unterstützen, hat gemäss den Aussagen von Regine Sauter auch damit zu tun, «dass sie das Netto-Null-Ziel unterstützen und mit dessen Festlegung in einem Gesetz Planungssicherheit erhalten». Dagegen befürchtet Hermann Hess eine Planwirtschaft mit staatlichen Vorgaben und Garantien. «Es kann nicht sein, dass der Bund den Firmen vorgibt, was sie zu tun hätten», sagte er.
Fabian Etter wollte abschliessend vor allem die Chancen des Gesetzes hervorheben: «Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien wie Biomasse, Wind und Sonne den zusätzlichen Strombedarf abdecken können.»
Fazit: Am 18. Juni 2023 zählt jede Stimme.