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Klima & Energie

Wo Europa bei den Klimazielen steht und was das für 2024 bedeutet

Der Anteil der Erneuerbaren nimmt stetig zu und Treibhausgasemissionen fallen. Aber: Noch findet die Energiewende nicht schnell genug statt, um die grünen Ziele der EU bis 2030 zu erreichen.

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Wo Europa bei den Klimazielen steht und was das für 2024 bedeutet

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Wo steht Europa bei der Energiewende? Ein Bericht der EU zeigt auf, wo die Staatengemeinschaft bei ihren Zielen hinterherhinkt und wo es Fortschritte gibt. Ausgewertet wurden die Klima- und Energiepläne der meisten EU-Länder. Die NZZ hat sich die Zahlen genauer angeschaut und fünf Erkenntnisse daraus gezogen.

1. Die Ausgangslage

So heiss wie im vergangenen Jahr war es noch nie seit Beginn der Messungen. Das zeigen die jüngsten Zahlen des europäischen Klimadienstes Copernicus. Auch sonst war es ein Jahr der Extreme mit Hitzewellen, heissen Ozeanen und Überschwemmungen. Die klimapolitischen Warnsignale von 2023 hängen entsprechend düster über den ersten Tagen dieses Jahres.

Der Druck auf Brüssel durch Aktivisten und Forscher, mehr im Kampf gegen den Klimawandel zu tun und den «Grünen Deal» umzusetzen, wird sich im Frühjahr weiter steigern. Gleichzeitig hat das vergangene Jahr auch gezeigt: Der Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger in Europa wächst, sie fühlen sich von den vielen grünen Auflagen und Kosten überfordert. Diese Entwicklung kann man zurzeit live bei den Bauernprotesten in Deutschland beobachten. Existenzängste in den durch die Energiewende betroffenen Branchen befeuern den Widerstand gegen die Klimaziele.

Die EU hat sich infolge des russischen Kriegs gegen die Ukraine neue und höhere grüne Energieziele gesetzt. Brüssel sieht weiterhin vor, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um netto 55 Prozent zu reduzieren. EU-Länder haben sich letztes Jahr dazu verpflichtet, den Anteil der erneuerbaren Energien von 32 Prozent auf mindestens 42,5 Prozent und idealerweise auf 45 Prozent anzuheben; der Energieverbrauch soll nun bis 2030 um (sehr ambitionierte) 11,7 Prozent fallen, zuvor waren es nur 9 Prozent gewesen.

2. Emissionen gehen zurück, aber nicht ausreichend

Die Treibhausgasemissionen in der EU sind bis 2022 um rund 31 Prozent im Vergleich mit dem Niveau von 1990 gefallen – eingerechnet wird auch der internationale Flugverkehr. Die Geschwindigkeit der Minderungen hat in jüngerer Zeit zugenommen, sie reicht dennoch nicht aus, um die EU-Ziele zu erreichen.

Laut Brüssel werden die Emissionen bis 2030 wohl um rund 51 Prozent zurückgehen – das liegt knapp unterhalb des Ziels von 55 Prozent. Auch die Europäische Umweltagentur (EEA) ist vorsichtig. Im Dezember schrieb sie, das Erreichen dieser Marke sei, per Stand heute, «möglich, aber unsicher».

Bis 2050 hat sich die Staatengemeinschaft derweil mithilfe des «Grüner Deal»-Programms vorgenommen, die Klimaneutralität zu erreichen. Treibhausgasemissionen sollten in den kommenden Jahrzehnten also so weit wie möglich auf null fallen. Brüssel setzt gleichzeitig darauf, dass die verbleibenden Emissionen in Sektoren wie der Schifffahrt oder der Zementproduktion dank Wäldern und anderen Landschaftsformen sowie technischen Lösungen wettgemacht werden. Brüssel fordert aus diesem Grund auch, dass EU-Mitglieder ihre Klimapläne stärker auf die CO2-Entnahme ausrichten.

Die Debatte über die benötigten Emissionsminderungen wird sich in den kommenden Monaten zuspitzen. Anfang Februar will die Europäische Kommission mit ihrem Vorschlag eines neuen Reduktionsziels für 2040 herauskommen. Der niederländische Klimakommissar Wopke Hoekstra versprach im Herbst eine Minderung von mindestens 90 Prozent – zur Freude von Umweltorganisationen und Experten, die auf eine solche Zahl drängen. Anders sieht es bei Politikern aus, die sich über die Kosten und die Umsetzbarkeit weiterer Auflagen sorgen.

Zu einer Einigung zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament wird es vor der Europawahl im Juni nicht kommen – auch deshalb nicht, weil viele der umwelt- und klimapolitischen Auflagen aus Brüssel seit dem vergangenen Jahr bei konservativen und rechten Parteien verstärkt auf Widerstand stossen. Damit wird sich die neue Europäische Kommission auseinandersetzen müssen, die im kommenden Herbst ihr Mandat aufnimmt.

Die politische Stimmungsmache um die Ausgestaltung und das Ausmass der europäischen Klimaziele wird sich in den Wochen vor den Europawahlen voraussichtlich verschärfen. Wie sich die klimapolitische Stimmung in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt stark davon ab, welche Parteien aus den Wahlen als Sieger hervorgehen werden.

Folgt man den Umfragen, werden es Parteien aus dem konservativen und dem rechten Spektrum sein. Hitzige Auseinandersetzungen über die Zukunft des «Grünen Deals» der EU sind programmiert. Gleichzeitig werden auch dieses Jahr neue Hitzerekorde und Wetterextreme erwartet, die teure und teilweise gefährliche Konsequenzen für Bürger und Wirtschaft mit sich bringen werden.

3. Die CO2-Entnahme ist dieses Jahr ein grosses politisches Thema

Seitdem die EU ihr Klimaziel für diese Dekade vor knapp drei Jahren beschlossen hat, ist klar: Die klimapolitischen Ambitionen der Staatengemeinschaft werden nicht erreicht werden können, wenn der Atmosphäre nicht vermehrt Kohlendioxid entnommen wird. Wie genau das geschehen soll, wird zunehmend zu einem Politikum für Brüssel.

Die EU-Länder haben sich letztes Jahr dazu verpflichtet, bis 2030 der Atmosphäre durch Wälder und andere Landschaftsformen insgesamt 310 Gigatonnen CO2-Äquivalente zu entnehmen. Projektionen der Kommission jedoch zeigen, dass diese Zahl wohl um bis zu 50 Gigatonnen CO2-Äquivalente verfehlt wird.

Zudem beklagt Brüssel in der Analyse der nationalen Klima- und Energiepläne, dass sich die wenigsten EU-Mitglieder konkret mit der Frage auseinandersetzen, wie sie den Zustand ihrer Wälder und Landschaften verbessern wollen, um die geforderten Ziele zu erreichen.

Dazu gehören Massnahmen wie die Aufforstung oder die Wiedervernässung von Mooren. Der Zustand der Wälder, unter anderem in Finnland und Tschechien, wird zunehmend zu einem Problem für die europäische Klimabilanz. Denn sie nehmen immer weniger CO2 auf, wie Daten der Europäischen Umweltagentur zeigen.

Die Debatte wird sich ab Februar weiter aufheizen. Dann legt Brüssel seine Strategie vor, wie Kohlendioxid künftig abgeschieden und gespeichert werden kann. Gleichzeitig sind Aktivisten schon jetzt beunruhigt, dass die zunehmende Aufmerksamkeit für die CO2-Entnahme möglicherweise von den notwendigen Emissionsreduktionen ablenken könnte.

4. Erneuerbare setzen sich vermehrt durch

Dabei beschleunigt sich die Energiewende. Schlüsseltechnologien würden populärer, schreibt die Europäische Umweltagentur. Das hat vor allem mit der schnellen Ausbreitung der Solarenergie im Stromsektor zu tun sowie jener von Wärmepumpen und Elektroautos. Sollte sich der Trend weiter fortsetzen, «werden diese Technologien zur benötigten Beschleunigung der Emissionsminderung beitragen».

Die Aussicht für das angelaufene Jahr ist jedoch getrübt. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon betrifft laut der Kommission den teilweise fehlenden politischen Ehrgeiz der EU-Mitgliedsländer. Noch führten nationale Ausbaupläne insgesamt erst zu einem Anteil der Erneuerbaren im Energiemix der EU von 39 Prozent – zu wenig, um das neue und höhere Energieziel von mehr als 40 Prozent bis 2030 zu erreichen.

Bis zum Sommer sind die Länder aufgefordert, aktualisierte Energie- und Klimapläne vorzulegen. Dann wird sich auch zeigen, welche Regierungen besonders hinterherhinken. Bislang hätten nur sieben Länder Ausbaupläne für die Erneuerbaren vorgelegt, die ihrem Anteil am EU-Ziel gerecht würden, sagt Brüssel. Darunter finden sich Dänemark, Luxemburg, Spanien, Italien, Griechenland, Estland und Litauen, jedoch nicht Deutschland.

Bei den Technologien konzentrieren sich die meisten Länder derweil auf den Ausbau der Solar- und Windenergie. Während sich die erneuerbaren Energien zunehmend als Stromquelle durchsetzen, hinkt ihr Anteil in anderen Bereichen hinterher. Das gilt vor allem für den Transport- und den Wärmesektor.

Gleichzeitig bremst der schleppende Genehmigungsprozess weiterhin den Ausbau – auch im Stromsektor. Die Branche warnt vor weiteren Herausforderungen. So prognostiziert der europäische Dachverband Solar Power Europe für 2024 ein langsameres Wachstum von nur 11 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahr – seit 2020 wuchs der Markt jedes Jahr um mindestens 40 Prozent.

Für Dries Acke von Solar Power Europe liegt es nun an der Politik, gute Investitionsbedingungen zu schaffen. Dazu gehörten nicht nur schnelle Netzanschlüsse und Genehmigungen. «Wir können nicht riskieren, dass Handelsbarrieren die Entwicklung bremsen, und wir können auch nicht die Chance verpassen, die europäische Solarproduktion zurück nach Europa zu holen», sagt er. Laut dem Verband könnten gegenwärtig weniger als 2 Prozent der derzeitigen europäischen Solarnachfrage durch mit Photovoltaikanlagen in Europa produzierte Energie gedeckt werden.

Damit spricht Acke eine weitere klimapolitische Schlüsseldebatte in diesem Jahr an: die internationale Wettbewerbsfähigkeit grüner Technologien und Branchen der EU im Vergleich mit den grossen Mitstreitern (und Rivalen) aus China und den USA. Die kommenden Monate werden zeigen, wie weit die EU gehen wird, um im Wettstreit zu bestehen – und ob sich die politischen und finanziellen Kosten für die Staatengemeinschaft und ihre Bürger auszahlen. Dies könnte gar zu einem Handelskrieg mit China führen.

5. Die fossilen Energien verschwinden nur zögerlich von der Bildfläche

Auf der Klimakonferenz in Dubai wurde die allerdings vage Aufforderung an Regierungen gefeiert, sich in der nahen und doch unbestimmten Zukunft von fossilen Brennstoffen abzuwenden. Die EU hatte für eine solche Formulierung lautstark gekämpft. Angesichts der jüngsten Temperaturdaten sagte der EU-Klimakommissar Hoekstra sodann am Dienstag: «Das müssen wir jetzt in die Tat umsetzen.»

Die Bilanz innerhalb der Staatengemeinschaft ist gemischt. Alle Mitgliedstaaten haben zwar begonnen, auf grüne Alternativen umzusteigen, um Energie zu erzeugen. Aber nur wenige nutzen gar keine Kohle mehr, und nicht alle planen, vor dem Jahr 2030 kohlefrei zu werden – darunter ist auch Deutschland.

Gleichzeitig haben nur wenige Länder einen Plan dafür, wie sie den Ölverbrauch reduzieren und mit den Folgen umgehen wollen. Dabei stellt Erdöl mit einem Anteil von 34 Prozent die Hauptenergiequelle in der EU dar. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass der Anteil bis 2030 nur gering, bis 2040 jedoch stärker fallen wird.

Derweil macht Erdgas einen Anteil von rund 24 Prozent am Energiemix aus, mehr als 80 Prozent werden importiert. Russland war bis zum Krieg gegen die Ukraine der Hauptlieferant. Während der ersten zehn Monate des vergangenen Jahres fiel der Anteil von russischem Erdgas bei den Einfuhren dagegen auf 15 Prozent.

Das ist eine geo- und energiepolitische Leistung, bedeutet jedoch längst nicht, dass sich die EU-Länder grundsätzlich vom Gas trennen. Einige Regierungen planen sogar, die heimische Gasproduktion zu erhöhen – auch um die Energiesicherheit zu gewährleisten. Dazu gehören Kroatien, Italien und die Slowakei.

Europäische Länder sollten sich darauf gefasst machen, dass die Zivilgesellschaft zunehmend die Regierungspläne für fossile Brennstoffe unter die Lupe nehmen wird – und die EU an ihren eigenen rhetorischen Höhenflügen messen wird.

Kalina Oroschakoff, «Neue Zürcher Zeitung» (16.01.2024)

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