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Klima & Energie

Die Rückkehr der Überschall-Verkehrsflugzeuge steht bevor

Zwei Erstflüge neuer ziviler Testmaschinen 2024 markieren den Auftakt zu einem möglichen zweiten Überschall-Zeitalter.

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Die letzte Concorde steht seit Ende 2003 im Museum, seitdem ist es buchstäblich still geworden um zivile Überschallflüge. Der Wendepunkt kam erst kürzlich, am 22. März 2024 um 7 Uhr 28 morgens Ortszeit, in der kalifornischen Mojave-Wüste: Mit drei Jahren Verspätung startete die Boom XB-1 zum Erstflug, das erste privat gebaute Überschallflugzeug der Luftfahrtgeschichte.

Die Performance des Erstflugs war noch bescheiden – er dauerte nur zwölf Minuten, erreichte eine maximale Geschwindigkeit von gerade einmal 441 km/h und eine Höhe von nur 2170 Metern. «Das Ziel des Erstflugs war, dass der Pilot das Flugzeug erfolgreich landet – nichts weiter», sagt Boom-CEO und Gründer Blake Scholl.

Denn die XB-1 zu landen, ist eine ganz andere Aufgabe als sonst, weil die Piloten beim Anflug wegen des Deltaflügels einen hohen Anstellwinkel brauchen und daher keine Sicht nach vorn unten auf die Piste haben.

Aus Gründen des Gewichts und der Aerodynamik verzichten moderne Überschallentwürfe auf die Klappnase der Concorde. Was den Piloten bleibt, ist das Live-Kamerabild des Blicks voraus auf einem hochauflösenden Bildschirm vor ihnen im Cockpit.

Als zusätzliche Hilfe stand Chef-Testpilot Bill Shoemaker auch noch ein menschlicher Einweiser am Pistenrand zur Verfügung, wie sie auf Flugzeugträgern üblich sind, wo sie Piloten über Funk zur Landung führen. «Die Erfahrung, die wir beim Erreichen dieses Meilensteins gesammelt haben, ist von unschätzbarem Wert für die geplante Wiedereinführung des überschallschnellen Reisens durch Boom», so Shoemaker.

Der Schauplatz des Erstflugs ist symbolträchtig

«Heute hat der erste Flug der XB-1 im gleichen heiligen Luftraum stattgefunden, in dem die Bell X-1 1947 zum ersten Mal überhaupt die Schallmauer durchbrach», sagte CEO Blake Scholl nach dem gelungenen Erstflug.

Was heute Mojave Air & Space Port heisst, war immer schon ein wichtiger Ort für die Erprobung zukunftsweisender Flugtechnologie über der weitgehend menschenleeren Wüste im Südosten Kaliforniens. Vor allem die Edwards Air Force Base gleich nebenan.

Noch ist die XB-1 weit unter der Schallgrenze geblieben, nach zehn bis zwanzig Unterschall-Testflügen soll es aber so weit sein: «Wir arbeiten uns Stück für Stück bis Mach 0,95 vor, danach geht es direkt in den Überschall, und wir gehen zunächst auf Mach 1,1, dann im nächsten Flug auf Mach 1,2 und schliesslich auf Mach 1,3», sagt Tristan Brandenburg, Booms Testpilot, der mit der XB-1 erstmals Überschall fliegen wird. «Das wird jeweils nur wenige Minuten dauern, weil uns dann entweder Sprit oder Luftraum zur Neige gehen.»

Die Ironie ist, dass Boom für diese Testflüge eine Sondergenehmigung der US-Luftfahrtbehörde FAA braucht und innerhalb eines über der Edwards Air Force Base liegenden ausgewiesenen Luftraums bleiben muss. Denn Überschallflüge über Land sind in den USA seit 1973 verboten, auch wenn sich das bald ändern könnte.

Der kleine Einsitzer ist weit davon entfernt, ein neues Passagierflugzeug zu sein, aber er könnte sehr wohl der entscheidende Schritt in diese Richtung werden. Die XB-1, anfangs vom Hersteller noch «Baby Boom» genannt, ist ein Testflugzeug auf dem Weg zum Bau der Overture. Dieser Überschalljet, etwas kleiner als die Concorde, soll schon bis Ende dieses Jahrzehnts ausgeliefert werden.

Mit 64 bis 80 Fluggästen finden darin weniger Reisende Platz, die mit 1,7-facher Schallgeschwindigkeit auch langsamer unterwegs sein werden als zwischen 1976 und 2003 in der Concorde mit ihren 2179 km/h (Mach 2,02). 130 Bestellungen und Absichtserklärungen liegen bereits vor.

Obwohl viele Branchenexperten Zweifel an der technischen Umsetzbarkeit sowie Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit von Overture hegen, ist der Erstflug der XB-1 zweifellos ein Erfolg. «Damit wollen wir als Pioniere jene Schlüsseltechnologien einführen, die Overture erst ermöglichen werden», sagt Blake Scholl.

Boom will damit Erfahrungen im Flugzeug- und Systemdesign erwerben, aber auch Praxis sammeln bei der Entwicklung von Software, digitalen Modellen, dem Sicherheitsmanagement und den Produktionsmethoden.

Nicht alles lässt sich am Computer simulieren

Wie schon bei der Concorde und ihrem sowjetischen Wettbewerber Tupolow Tu-144, die in den späten 1960er Jahren konstruiert wurden, zeigte sich bei der XB-1 die gleiche Achillesferse in der Entwicklung: Die komplexe Regulierung der Lufteinlässe der Triebwerke ist für Überschallflugzeuge besonders herausfordernd, vor allem wenn sie ermöglichen müssen, dass wie bei der XB-1 konventionelle Unterschall-Triebwerke genutzt werden können.

«Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass wir das XB-1-Programm überhaupt durchführen», sagt Blake Scholl. «Die Einlässe sind das am schwierigsten zu simulierende Element, daher wollten wir damit in der Realität Erfahrungen sammeln.» Prompt zeigten sich Schwächen, es kam bei Triebwerkstests zum berüchtigten «Compressor Stall», dem Strömungsabriss an einer Verdichterschaufel. «Wir mussten deshalb den Einlass verändern und die Einlasslippen abrunden», erklärt Scholl. Dann passte es, und XB-1 konnte abheben.

Nur wenige Kilometer südlich von Mojave entfernt und nördlich von Los Angeles liegt Palmdale. Hier wurde in den legendären Lockheed Skunk Works, jener geheimnisumwitterten Abteilung zur Entwicklung exotischer Systeme, am 12. Januar 2024 eine ungewohnt öffentliche Feier abgehalten.

Vor Hunderten von geladenen Gästen und mit weltweitem Livestream stellten Lockheed Martin und die Nasa ihr neues Forschungsflugzeug X-59 Quiet SuperSonic Technology (QueSST) vor. Ziel des 250-Millionen-Dollar-Projekts ist die Validierung der errechneten Aerodynamik für dieses seltsam aussehende Flugvehikel. Mit seiner Form will man erstmals beweisen, dass Überschallflüge über Land so leise sein können, dass kein Doppelknall mehr Menschen erschreckt und Fenster splittern lässt.

Nasa

Quelle: Nasa

Stattdessen soll ein Überflug am Boden nicht mehr lauter klingen als das Zuschlagen einer Autotür. «Dieses Testflugzeug für experimentelle Technologie hat das Potenzial, die Luftfahrt komplett zu revolutionieren», erklärte Greg Ulmer, Chef von Lockheed Martin Aeronautics. «Wir hoffen auf eine neue Ära des leisen Überschall-Reisens. Aber akzeptabler Überschallflug muss heute auch nachhaltig sein.»

Auch die X-59 ist drei Jahre zu spät dran, doch im Sommer 2024 soll sie nach ausgiebigen Bodentests zum Erstflug starten. Nach der Flugerprobung folgen die eigentlichen Testflüge über ausgewählte Städte, wo dann die Bewohner zu ihren Eindrücken von dem seltsamen Flugzeug befragt werden, das da über ihnen geflogen ist.

Eine flache Nase soll den Überschallknall eliminieren

Grösster Hingucker an der X-59 ist ihre extrem lange, schlanke Schnauze, die fast ein Drittel der Rumpflänge ausmacht und von vorn so aussieht wie die Frontpartie eines Schnabeltiers. Dies dient dem Zweck, die Ausformung von Druckwellen zu verhindern, die bei bisherigen Überschalljets den Knall verursachten. Genauso wie die Anordnung des Cockpits: hinter der Nase, aber fast schon in der Mitte des Rumpfes und völlig ohne eigene Sicht nach vorn, während Piloten aus der XB-1 wenigstens auf Flughöhe Sicht nach vorn haben.

«Nach vorn gerichtete Cockpitfenster standen unserem Streben im Weg, das Flugzeug leise zu machen», so Nasa-Vizechefin Pam Melroy. Stattdessen liefern zwei Kameras dem Piloten hochauflösende Livebilder der Sicht nach vorn auf einem 4K-Bildschirm vor ihm. Das könnte künftigen Jets Impulse geben: «Das ‹External Vision System› hat das Potenzial, die Zukunft des Flugzeugdesigns zu beeinflussen», sagt Melrose. «Dort könnte sich der Verzicht auf vordere Cockpitfenster aus ingenieurtechnischer Sicht vorteilhaft auswirken.»

Melrose geht noch weiter: «Die X-59 bringt uns einer Zukunft näher, die wir alle verstehen können: Sie wird die Reisezeit zwischen New York und Los Angeles halbieren.» Wenn alles gut geht, könnte so eines Tages auch Booms Overture über Land Mach 1,7 fliegen. Bis jetzt ist das Geschäftsmodell nur auf Überschallflug über Wasser ausgelegt.

Andreas Spaeth, «Neue Zürcher Zeitung» (04.04.2024)

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