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Wie Sie ihr Gehirn grüner bekommen

Bild: William Felipe Seccon auf Unsplash

Gesellschaft

Wie Sie ihr Gehirn grüner bekommen

Unser wichtigstes Organ ist schlecht gerüstet für ein Problem wie die Klimakrise. Aber immerhin ist es lernfähig: eine Anleitung in vier Schritten.

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Es braucht kein Superhirn, um dieser Rechnung zu folgen: Soll sich die Erde um weniger als zwei Grad erwärmen, dürfte jeder Mensch bis 2050 etwa drei Tonnen CO2 pro Jahr verursachen. Zurzeit kommt jeder Schweizer im Schnitt auf gut 13 Tonnen, in den USA liegt der Wert nahe bei 20 Tonnen. Ergo: Hier geht etwas nicht auf. Diese Kluft ist vielen Menschen bewusst. Viele fänden es auch durchaus sinnvoll, ein etwas grüneres Leben zu führen – und schaffen es dann trotzdem nicht, im Laden den Tofu statt das Steak zu kaufen oder sich daheim zum konsequenten Rezyklieren aufzuraffen. Warum nur fällt es uns Menschen so schwer, Verhaltensweisen zu ändern und umweltfreundlichere Entscheide zu treffen?

It’s the brain, stupid! Es liegt am Hirn: Das meint jedenfalls Ann-Christine Duhaime. Die amerikanische Neurologin hat die Klimakrise aus der Warte ihres Fachs analysiert und Ideen entwickelt, wie unsere Gehirne nachhaltiger werden könnten. Doch um seinen Kopf zu trainieren, muss man ihn erst einmal verstehen: eine Wegleitung in vier Schritten.

1. Ins Hirn blicken

Der Mensch beschreibt sich gerne als das rationale Tier. Doch unser Verhalten wird nicht nur durch vernünftiges Nachdenken gesteuert. Einen wichtigen Einfluss auf unsere Entscheidungen hat das Belohnungszentrum: ein Teil des Hirns, der das Glückshormon Dopamin ausschüttet, wenn er von bestimmten Reizen aktiviert wird. Ob dieser Mechanismus in Gang kommt oder nicht, ist entscheidend für unser Tun: «Was wir nicht als lohnend wahrnehmen, machen wir nicht», hält Duhaime fest.

Belohnung ist dabei nicht als nettes Extra zu verstehen. Vielmehr ging es ursprünglich um Dinge, die das Überleben begünstigten. Das Belohnungssystem hat sich unter dem Druck der Evolution entwickelt, über Hunderttausende von Jahren hinweg, in denen viele Ressourcen oft sehr knapp waren. Nahrung etwa: Hatten unsere Vorfahren eine Gelegenheit, an Fleisch zu kommen, galt es, möglichst viel davon aufzunehmen, um den Körper mit Kalorien und Proteinen zu versorgen. Das Belohnungszentrum stimulierte dieses wichtige Verhalten, indem es die Fleischnahrung mit einem Gefühl besonderer Genugtuung verband.

2. Die Schwierigkeiten erkennen

Die heutigen Lebensumstände haben wenig mit der Zeit gemein, in der sich das Hirn entwickelte. In unseren Breiten herrscht inzwischen in vielen Bereichen Überfluss statt Knappheit. Doch nach evolutionsgeschichtlichem Massstab ging diese Veränderung so schnell vonstatten, dass sich das Gehirn nicht grundlegend an die neuen Gegebenheiten anpassen konnte. Es belohnt weiterhin das Verhalten, das früher das Überleben begünstigte, in Duhaimes Worten: «mit möglichst wenig Aufwand an möglichst viel kommen».

Durch dieses Verhaltensmuster werden heutzutage grosse Mengen an CO2 freigesetzt, die das Überleben langfristig eher beeinträchtigen als befördern. Das aber ist für unser Hirn schwer zu realisieren. Denn einerseits hat es in der Vergangenheit vornehmlich gelernt, auf unmittelbare Gefahren zu reagieren – auf einen Löwen zum Beispiel, der aus dem Gebüsch auftauchte. Und andererseits ist es darauf trainiert, Ursachen und Wirkungen in einer direkten Verbindung zu sehen: Wer einen Stein nahm, den bedrohlichen Löwen damit bewarf und vertrieb, speicherte dieses Verhalten als lohnend ab. Inwiefern aber eine Ölheizung bedrohlich sein könnte beziehungsweise was der Umstieg auf Erdwärme zur Sicherung des Überlebens beitragen sollte, ist weit weniger offensichtlich.

3. Das Positive sehen

Auch wenn das Hirn urzeitlichen Mustern folgt und seine Grundmechanismen unser Verhalten prägen: Es ist keine unbeinflussbare Maschine, die uns vollständig determinieren würde. «Wir haben die Fähigkeit, uns zu ändern», sagt Duhaime. Und gerade das Belohnungssystem kann laut der Neurologin dabei helfen, neue Verhaltensweisen anzunehmen. Welche Dinge wir als lohnend empfinden, ist nämlich nicht ein für alle Mal festgeschrieben. So reagiert das Belohnungszentrum heute zum Beispiel auf Reize, welche die längste Zeit über schlicht nicht existierten: Geld etwa war in der Steinzeit nirgends vorhanden. Inzwischen aber hat unser Hirn gelernt, dass dank Geld etliche Dinge verfügbar werden, die dem Überleben dienen (Fleisch) oder den Status erhöhen (schöne Autos) und einem dadurch eine vorteilhafte Position im Konkurrenzkampf verschaffen.

Entwicklung ist also möglich – und Konkurrenz ist nicht alles. Das Belohnungszentrum reagiert nämlich auch auf ganz anderes. Auf soziale Anerkennung etwa oder auf Altruismus. Auf Verhaltensweisen also, die Kooperation begünstigen: eine Sache, die unsere Spezies im Verlauf der Geschichte erheblich weiterbrachte. Auch Probleme zu lösen oder sich mit neuen Dingen zu beschäftigen, war für unsere Vorfahren wichtig und wird vom Hirn als lohnend gewertet. Diese Vielfalt gilt es laut Duhaime in der Klimakrise zu nutzen: Grünes Verhalten wird uns laut der Neurologin sehr viel leichter fallen, wenn wir es mit einem der diversen Reize verknüpfen, die im Hirn Dopamin freisetzen.

4. Dem Hirn auf die Sprünge helfen

«Make it fun», lautet, simpel gesagt, die Devise. Das Grüne soll Freude machen, und das kann auf zwei verschiedene Arten gehen. Die erste koppelt eine umweltfreundliche Entscheidung an etwas, was die Menschen sowieso wollen. Ein schmuckes Daheim zum Beispiel. Viele Hausbesitzer empfinden es als befriedigend, ihr Haus zu pflegen, eine neue Küche einzubauen oder das Bad zu modernisieren. Die wenigsten dagegen sind wild darauf, ihre Ölheizung durch ein klimafreundlicheres System zu ersetzen, auch wenn sie das eigentlich richtig fänden. Wie also motiviert man sich zum Handeln?

Indem man die Projekte verbindet: Laut Studien sanieren die Leute ihr Heizsystem viel eher, wenn sie in ihrem Haus zugleich ein Verschönerungsvorhaben verfolgen, das ihr Belohnungszentrum aktiviert. Dieser Mechanismus funktioniert auf vielen Feldern. Wer zum Beispiel positiv auf trendige Autos reagiert, kann diese Disposition mit dem nötigen Kleingeld für den ökologischen Fortschritt nutzen – und sich einen Tesla kaufen.

Die zweite Art, grünes Verhalten zu «fun» zu machen, ist eher ambitionierter: Hier geht es darum, alte Belohnungen durch neue zu ersetzen. Ein Steak macht glücklich. Wenn man darauf verzichtet, entsteht eine Lücke – wie kann ein Tofuschnitzel sie füllen? Nicht eins zu eins natürlich, aber doch recht leicht, meint Duhaime. Man könne beim Kochen vielleicht mit Saucen oder Gewürzen experimentieren, was unsere menschliche Neugier befriedige. Oder das Tofustück in geselliger Runde probieren und das umweltfreundliche Essen also mit einer sozialen Belohnung verbinden.

Wie stark gerade solch soziale Faktoren grüne Entscheide fördern können, zeigt sich laut Duhaime zum Beispiel beim Recycling. So führten Nachbarschaftsprojekte, in denen sich mehrere Haushalte zu Teams gruppierten, um gemeinsam den Müll zu reduzieren, zu lang anhaltenden Verhaltensänderungen. Zusammen mit anderen Menschen ein Ziel zu verfolgen, empfinden offenbar viele als besonders lohnend. Aber nicht bei allen reagiert das Hirn auf dieselben Reize, und letztlich muss jeder seinen eigenen Präferenzen folgen.

Weder eine neue Heizanlage noch ein würziges Tofudinner wird das Klimaproblem lösen, das weiss auch die Neurologin. Aber erstens, betont sie, dürfte der individuelle Konsum in hochentwickelten Ländern für rund die Hälfte der CO2-Emissionen verantwortlich sein – hinter der eigenen Haustüre gibt es folglich durchaus Arbeit zu erledigen. Und zweitens wird auch in der Politik, in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft jede Entscheidung durch menschliche Gehirne getroffen. Es kann sich darum nur lohnen, dieses Organ ein bisschen grüner zu machen.

Claudia Mäder, «NZZ am Sonntag» (17.02.2023)

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«Minding the Climate»

Ann-Christine Duhaime, 67, forscht seit mehreren Jahren zu Hirn und Umweltverhalten, im Buch «Minding the Climate» beschreibt sie ihre Ansätze. Die Amerikanerin war Direktorin der pädiatrischen Neurochirurgie am Massachusetts General Hospital und lehrt an der Harvard Medical School.

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