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Herbstblatt

Bild: Karl-Heinz Schein / Imago

Lebensräume

Das Herbstlaub leuchtet früher – der Klimawandel bringt Laubbäume aus dem Takt

Wenn sich die Blätter der Laubbäume im Herbst verfärben, findet ein Naturschauspiel statt. Neue Forschung zeigt: Bäume grünen im Frühjahr eher. Und fangen im Herbst auch früher an, gelb zu werden.

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Das Herbstlaub leuchtet früher – der Klimawandel bringt Laubbäume aus dem Takt

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Es ist ein Aufbäumen, im wahrsten Sinne des Wortes. Kurz bevor die Blätter eines Baumes im Herbst sterben, pulsiert das Leben in ihnen. Das Laub leuchtet gelb und rot in der Sonne. Es gibt kaum einen Zeitpunkt, in dem der Stoffwechsel in den Blättern so aktiv ist wie jetzt, kurz bevor sie vom Baum fallen und vertrocknen. Sogar zuvor gar nicht produzierte Stoffe bildet das Blatt nun neu.

«Für die Laubbäume in den nördlichen Breiten ist die Verfärbung der Blätter im Herbst lebensnotwendig», sagt Karin Krupinska, Professorin für Botanik an der Universität Kiel. «Sie ist das äussere Zeichen für einen grossen Recyclingprozess.» Doch dieser läuft anders ab, als Biologen lange dachten. Jüngste Studien zeigen: Der Abwurf ist stärker vom Innenleben der Blätter geprägt als von äusseren Faktoren wie der Tageslänge. Und auch der Klimawandel hinterlässt seine Spuren.

Laubbäume entledigen sich ihrer Blätter wegen der unwirtlichen Witterungsbedingungen, die im Winter auf sie warten. «Aus einem gefrorenen Boden kann ein Baum kein Wasser ziehen», erklärt Krupinska. Das gleiche Problem tritt bei Trockenheit auf. In beiden Fällen kann es zu «Embolien» in den Gefässen kommen.

Ein Laubblatt gibt durch seine Spaltöffnungen Wasser ab. Dadurch entsteht ein Sog, der das Wasser durch die gesamte Pflanze transportiert. «Ein Wasserstrang führt von der Wurzel bis zum Blatt», erklärt Constantin Zohner, Professor für globale Systemökologie an der ETH Zürich. «Wenn von unten kein Wasser nachkommt, kann der Wasserstrang reissen – dann vertrocknen die Bereiche des Baumes, die von diesem Gefäss versorgt werden.»

Hinzu kommt, dass die Blätter vieler Laubbäume zart sind. «Die meisten sind so empfindlich, dass sie durch Frost zerstört würden», sagt Krupinska. Dagegen haben das Gros der Nadelbäume oder auch immergrüne Laubpflanzen wie Efeu eine dicke Schutzschicht auf der Aussenseite, die sie vor übergrosser Verdunstung und Frost schützt.

Der einzige heimische Nadelbaum, der seine Nadeln im Herbst abwirft, ist die Lärche. «Sie kommt aus dem Hochgebirge, wo die Bedingungen im Winter besonders hart sind», sagt Karin Krupinska. «Da kann es energetisch günstiger sein, die Nadeln abzuwerfen, weil es zu viel Aufwand bedeuten würde, diese winterfest zu machen.»

Das Blattgrün ist Segen und Fluch zugleich

Bäume haben also unterschiedliche Strategien entwickelt, wie sie mit dem Winter umgehen. Dort, wo die Temperaturen das ganze Jahr über hoch bleiben, gibt es den herbstlichen Blattabwurf nicht. In kälteren Regionen gilt es für die Laubbäume dagegen, vor dem Winter möglichst viele wertvolle Substanzen aus den Blättern zu retten, bevor diese auf die Erde fallen – Phosphor, Stickstoff, Schwefel, Spurenelemente.

Zuerst wird das Chlorophyll abgebaut. Während der Vegetationsperiode sind die Laubblätter grün, weil sie grosse Mengen ebendieses Farbstoffs enthalten. Chlorophyll wandelt Lichtenergie bei der Fotosynthese in chemische Energie um. Aus Wasser und Kohlendioxid wird Glucose hergestellt, als Nebenprodukt entsteht Sauerstoff. Dieser Prozess ist die Nahrungsquelle aller Pflanzen und damit auch aller Tiere – und ohne den freigesetzten Sauerstoff könnte kein Lebewesen atmen.

«Für die Pflanze ist Chlorophyll aber gleichzeitig sehr gefährlich, denn es kann Lichtenergie auch auf Sauerstoff übertragen», erklärt Bernhard Kräutler, emeritierter Professor für organische Chemie an der Universität Innsbruck. So entstehen reaktive Sauerstoffspezies. «Ein sehr aggressives Zellgift», so der Fachmann. Wegen dieser Eigenschaft umhüllen Pflanzen das Chlorophyll mit anderen Pigmenten, insbesondere Carotinoiden, und binden es an Proteine. Im Herbst gilt es nun, das gefährliche Molekül zu entschärfen.

«Viele Jahre lang dachte man fälschlicherweise, dass der Stickstoff aus dem Chlorophyll herausgeholt und dann im Baum gespeichert wird», sagt Kräutler. Zusammen mit seinen beiden verstorbenen Schweizer Kollegen Stefan Hörtensteiner und Philippe Matile hat er aber herausgefunden: Chlorophyll wird in farblose, weiterhin stickstoffhaltige Bestandteile zerlegt und mit dem Blatt abgeworfen.

Pflanzen verfügen nicht über die Enzyme, um das komplizierte Chlorophyllmolekül vollständig abzubauen. Letztlich ist das für den einzelnen Baum auch nicht entscheidend. «Nur drei bis fünf Prozent des Stickstoffes in einem Blatt sind im Chlorophyll enthalten», erklärt Karin Krupinska. Das Gros steckt in den Proteinen, die rezykliert werden.

Wenn das Chlorophyll zerlegt ist, bleiben die Carotinoide zurück. Sie ähneln chemisch jenen Molekülen, die etwa Mais gelb färben. Wegen dieser übrig gebliebenen Pigmente erscheinen Herbstblätter in unseren Breiten vor allem gelb. Farbenfroher ist Laub von vielen Bäumen aus Nordamerika und Asien. Verschiedene Ahornarten etwa sind intensiv rot. Diese Bäume bilden sogenannte Anthocyane in den Blättern – und das erst kurz bevor diese abfallen. Das klingt nach Verschwendung, und bis heute ist nicht ganz klar, warum Bäume diese Pigmente überhaupt produzieren.

Sonnencrème für Blätter

«Die Anthocyane werden in Breiten gebildet, wo die Intensität der Sonnenstrahlung grösser ist als in Mitteleuropa», sagt Constantin Zohner. Zwar gibt es auch in Mitteleuropa rote Laubblätter. Wenn sie aber intensiv gefärbt sind, handelt es sich um eingeführte Pflanzen. Einheimische Arten wie die Zitterpappel sind weniger intensiv rot. «Die Anthocyane könnten wie eine Art Sonnencrème wirken und die Recyclingprozesse im Blatt schützen.»

Auf diese Funktion deutet noch mehr hin als die geografische Verteilung der roten Herbstblattfarbe. «In sonnenexponierten Blättern werden mehr Anthocyane gebildet als in solchen im Schatten», erklärt Zohner. «In Experimenten haben wir auch Teile von sonnenexponierten alternden Blättern abgeklebt – und im Gegensatz zum Rest der Blattfläche wurden sie unter der Abdeckung nicht rot.»

Es gibt noch eine zweite Theorie, die erklärt, warum Bäume kurz vor dem Abwurf ihrer Blätter diese rote Farbe neu bilden. Manche Evolutionsforscher sind überzeugt, dass Bäume damit eine Botschaft an Blattläuse senden. Diese suchen ihr Winterquartier im Geäst. Bäume, so die Vorstellung, signalisieren mit der roten Blattfarbe, dass sie stark sind und Eindringlinge abwehren können. Tatsächlich wiesen Wissenschafter nach, dass Bäume, deren Blätter im Herbst rot gefärbt waren, im darauffolgenden Frühjahr weniger stark von Insekten befallen waren.

Wegen ihrer vielfältigen Wirkung, ob als Schutz gegen Frassfeinde oder UV-Licht, sowie ihrer roten Farbe bezeichnete der neuseeländische Biologe Kevin Gould Anthocyane als «das Schweizer Messer der Blätter».

Doch wie so vieles in der Natur verändert die Klimaerwärmung auch Färbung und Abwurf der Laubblätter. «Heute setzt die Blattfärbung früher ein», sagt Constantin Zohner. «Gleichzeitig bleiben die Blätter durch mildere Herbste länger am Baum hängen.» Die Gründe dafür haben Zohner und Kollegen von ihm in Klimakammern ermittelt.

Während man lange annahm, dass nur abnehmende Tageslänge und niedrige Lufttemperaturen Blattfärbung und -abwurf auslösen, konnten die Fachleute feststellen: Schon der Zeitpunkt, in dem die Blätter spriessen, hat einen Einfluss. «Jeder Tag, den ein Blatt früher austreibt, lässt die Blattfärbung durchschnittlich 0,3 Tage früher beginnen», erklärt er.

Die Bäume grünen global insgesamt früher. Das konnten die Wissenschafter mittels Satellitendaten eruieren – wohl als eine Folge der Erderwärmung. Und sie fangen auch früher an, gelb zu werden. Laubblätter haben also anscheinend einen festen Entwicklungszyklus. Welche Folgen das für die Bäume hat, ist noch nicht geklärt.

«Einerseits könnten sie durch die längere Übergangszeit mehr Nährstoffe aus den Blättern zurück in den Stamm und die Wurzeln einlagern – ein Vorteil für das nächste Frühjahr», sagt Zohner. «Andererseits verlieren die Bäume während dieser Zeit weiterhin CO2 durch Atmung, obwohl sie kaum noch Fotosynthese betreiben.» Diesen Herbst jedenfalls gibt es erneut die Möglichkeit, den Effekt zu untersuchen. Durch das warme Frühjahr hat der Blattaustrieb wieder früh begonnen.

Frederik Jötten, «Neue Zürcher Zeitung» (29.09.2025)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

13 - Massnahmen zum Klimaschutz
15 - Leben an Land

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