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Steven Spielbergs Horrorfilm «Der Weisse Hai» von 1975 hat massgeblich zum schlechten Ruf der Haie beigetragen. Universal / Mary Evans / Imago

Steven Spielbergs Horrorfilm «Der Weisse Hai» von 1975 hat massgeblich zum schlechten Ruf der Haie beigetragen. Bild: Universal / Mary Evans / Imago

Lebensräume

Italiener essen sehr viel Hai – ohne es zu wissen

Zwei Meeresforscher haben einen Film über zwielichtige Methoden realisiert, die den Hai an den Rand des Aussterbens bringen.

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Italiener essen sehr viel Hai – ohne es zu wissen

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Als Andrea und Marco Spinelli klein waren, sassen sie wie andere Kinder auch während Stunden gebannt vor dem Fernseher. Es waren nicht Zeichentrickfilme, die es ihnen angetan hatten. Sie schauten sich am liebsten die Filme von Jacques Cousteau an. Der französische Meeresforscher dokumentierte das Leben in den Ozeanen, die «Welt der Stille», wie Cousteau es nannte. So entstand bei den beiden jungen Italienern der Wunsch, dereinst auch einmal diesem grossen Reich ihre Stimme zu geben.

Heute, mit 34 beziehungsweise 29 Jahren, sind die Spinelli-Brüder so etwas wie die Cousteaus Italiens. Den Durchbruch zu nationalen Berühmtheiten verdanken sie vor allem ihrem neusten Dokumentarfilm, der vor kurzem auf Amazon Prime erschienen ist und hohe Beachtung findet. «Shark Preyed» beleuchtet das Geschäft rund um den Hai. Und zeigt, wie wenig wir über dieses majestätische Tier wissen, das gerade wegen dieser Unwissenheit zu den am meisten bedrohten Meereswesen zählt.

«Der Weisse Hai» und sein schwieriges Vermächtnis

Am meisten überrascht der Film mit der merkwürdigen Vorliebe der Italienerinnen und Italiener für Haifischfleisch: Nirgendwo sonst wird so viel Hai importiert. Gemäss der Handelsplattform Wits waren es im Jahr 2022 über 2000 Tonnen. Zum Vergleich: In Spanien sind es 1500 Tonnen, in Frankreich weniger als 500, in Deutschland 5.

Dabei ist Haifischfleisch vielerorts verpönt. Das hat mit dem schlechten Ruf des Raubtieres zu tun, zu dem Spielbergs Horrorfilm «Der Weisse Hai» von 1975 massgeblich beigetragen hat. Seither löst allein der Gedanke an den Beisser mit den übergrossen Rückenflossen tiefste Urängste aus.

«Das Bild des Monsters ist eine falsche Projektion von uns Menschen», sagt Andrea Spinelli, der die Tiere seit Jahren mit Respekt beobachtet. «Haie sind neugierig, vorsichtig und intelligent. Sie kommen nur näher, um zu sehen, wer du bist. Dann gehen sie wieder auf Distanz.»

Hai zählt zu den billigsten Fischen

Auf den Fischbänken in den italienischen Supermärkten findet man wegen des schlechten Rufs nirgends Schilder, auf denen das Wort Hai steht. Stattdessen kaschieren Bezeichnungen wie Vitello di Mare, Gattuccio, Palombo oder Spinarolo die Herkunft des Fleisches. Das ist legal, aber weder transparent noch konsumentenfreundlich. Andrea und Marco haben sich für den Film umgehört und sagen: «Kaum jemand ist sich bewusst, dass er da gerade Hai gekauft hat.»

Vor allem die vergleichsweise niedrigen Nährwerte und der übermässig hohe Anteil an Quecksilber im Haifischfleisch sprechen gegen den Erwerb von Haifisch. Als Jäger ganz am Ende der Nahrungskette kumuliert der Hai alle Schadstoffe in sich, welche die von ihm gefressenen Fische aufgenommen haben. Untersuchungen haben ergeben, dass ein 300 Gramm schweres Blauhaisteak 60-mal so viel Methylquecksilber aufweist, wie ein 70 Kilogramm schwerer Mensch aufnehmen sollte. Besonders gravierend können die Folgen sein, wenn Schwangere solch stark kontaminiertes Fleisch essen.

Dass in Italien trotzdem so viel Haifischfleisch gegessen wird, liegt wohl am Preis: Hai zählt zu den billigsten Fischen, die man erwerben kann. Zwischen 3 und 7 Euro kostet ein Kilogramm, während man zum Beispiel für ein Kilo Goldbrasse bis zu 50 Euro bezahlt. Haifisch hat tendenziell eine gummiartige Konsistenz. Gute Köchinnen und Köche können das aber wettmachen.

Gegen 100 Millionen Haie werden gemäss «Shark Preyed» jedes Jahr weltweit legal getötet. Man komme aber auf 270 Millionen, wenn man die illegal erlegten dazuzähle. Viele Haie werden unbeabsichtigt gefangen, zum Beispiel beim Thunfischfang. Wenn die Händler die Köpfe und Flossen abhacken und die Haut abziehen, erinnert nichts mehr an Hai. Besonders grausam ist das «shark finning»: Den Tieren werden die Rückenflossen abgeschnitten, und der restliche Körper wird wieder ins Meer geworfen, wo die Haie qualvoll sterben. Haifischflossen sind als Suppen in gewissen asiatischen Ländern beliebt. Gemäss den Spinelli-Brüdern bezahlt man bis zu 100 Euro für eine Portion.

In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Population der Haie um über 70 Prozent reduziert. Einige Unterarten sind so stark dezimiert worden, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Die meisten Haiarten wachsen nur langsam, haben lange Tragzeiten und zeugen wenige Nachkommen. Und wenn die Haie, die in der Hierarchie ganz oben stehen, ausgeschaltet werden, ist niemand mehr da, der das Zusammenleben unter Wasser reguliert. «Der Hai war lange Zeit der unbestrittene Herrscher im Meer», sagt Andrea Spinelli. «Doch dann hat er es mit dem gefährlichsten Raubtier zu tun bekommen: dem Menschen.»

Die Schweiz ist nur am Rande an der Ausmerzung des Hais beteiligt: Der Import von Haifisch ist mit jährlich 800 Kilogramm (Zahl von 2022) vergleichsweise gering. Dörig & Brandl, der grösste Fischimporteur des Landes, verzichtet gänzlich auf Hai. Der Geschäftsführer Andreas Altorfer sagt: «Die Nachfrage ist zu gering, und vor allem ist Haifisch nicht nachhaltig – zu viele Probleme sind damit verwickelt.»

Nicht der erste Film der beiden Brüder zu den Meeren

Die Spinelli-Brüder haben sich die Arbeit nach ihren persönlichen Stärken und Vorlieben aufgeteilt: Andrea, der ältere, forscht an einem Institut in Spanien als Meeresbiologe über vom Aussterben bedrohte Arten. Marco filmt und ist für die Kommunikation zuständig. In früheren Filmen und Projekten haben die beiden zum Beispiel auf eine verhängnisvolle Praxis der Fischer aufmerksam gemacht: Jedes Jahr lassen sie weltweit über 640 000 Tonnen nicht mehr gebrauchte Fischnetze im Meer zurück, die dort zu Todesfallen für Fische und andere Lebewesen werden.

Ihr nächster Film werde sich um die generelle Bedrohung der Meere drehen, sagt Andrea Spinelli. Viele seiner Landsleute meinten, es gehe dem Meer doch ganz gut. Doch das stimme nicht: «Die Überfischung, der Temperaturanstieg und viele andere Dinge haben den Weltmeeren stark zugesetzt.»

Jacques Cousteau habe den Menschen die Augen für die Magie der Unterwasserwelt geöffnet. «Wir möchten zeigen, wie sehr dieses Wunder durch unser Tun bedroht ist.»

Marc Zollinger, «Neue Zürcher Zeitung» (25.08.2025)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

3 - Gesundheit und Wohlergehen
12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion
13 - Massnahmen zum Klimaschutz
14 - Leben unter Wasser

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