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Der Künftige Recivlingbehälter von Zürich

Bild: Entsorgung und Recycling Zürich

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Design für die Tonne: Die Stadt Zürich hat ihren neuen Recycling-Behälter teilweise selbst entwickelt – das sieht man ihm an

Die bürokratische Gestaltung des künftigen Abfalleimers der Stadt Zürich ist ein Affront gegenüber dem öffentlichen Raum und der Schweizer Designkultur.

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Design für die Tonne: Die Stadt Zürich hat ihren neuen Recycling-Behälter teilweise selbst entwickelt – das sieht man ihm an

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Dass ein Abfallkübel Designgeschichte schreibt, kommt nicht oft vor. Doch der Abfallhai aus matt glänzendem Chromstahl hat von Zürich aus die Welt erobert. Der Mülleimer ist fast so bekannt wie der Sparschäler oder der Landistuhl. Der von Zemp + Partner Design entworfene Kübel steht bei über 4500 Kunden von Kilchberg über Wien bis Barcelona.

Der Hersteller macht nach wie vor Werbung mit der Silhouette der Limmatstadt im Hintergrund, wo 2002 alles seinen Anfang nahm. Doch den Zürcher Ansprüchen genügt der Edelkübel nicht mehr, obschon es diesen auch als Multikübel namens "Sorterhai" und als "Solarpresshai" gibt, der den Abfall mit Sonnenstrom verdichtet.

Schon 2018 begann die Stadt den Abfallhai durch den "Züri-Kübel 110 Liter" zu ersetzen, der eine grössere Öffnung und einen flachen Deckel hat und günstiger ist. Ins Museum für Gestaltung wird es dessen pragmatisches Design im Unterschied zu seinem Vorgänger nicht schaffen.

Der typische Zürcher Abfalleimer

Bild: Petra Orosz / Keystone

Alt, aber preisgekrönt: Das schräge Dach und das zackige Design zeichnen den Zürcher Abfallhai aus.

Nun haben die Anforderungen erneut zugenommen, weshalb die Dienstabteilung Entsorgung und Recycling Zürich einen neuen Kübel bestellt und diesen teilweise gleich selbst entworfen hat. Wie beim "Züri-Kübel" zuvor gab es keinen Designwettbewerb. Das ist eine Verarmung für die Schweizer Designkultur.

Der neue "Recycling-Behälter" – so die offizielle Bezeichnung – wurde entwickelt, damit die Zürcherinnen und Zürcher nachhaltiger entsorgen können. Es gibt separate Einwürfe für PET-Flaschen, Aludosen und Abfall. Bei Bedarf kann eine vierte Abfallart hinzugefügt werden, beispielsweise Glas. Das hilft der Kreislaufwirtschaft.

Doch konstruiert ist der Eimer konventionell: Eine generische Box aus Metall mit abgerundeten Ecken. Umweltfreundlich heisst hier vor allem: Es wurde wenig Energie für eine gute Gestaltung verschwendet. Dabei wäre diese Energie nachhaltig eingesetzt: Ansprechendes Design hält lange, weil es die Zeit überdauert und beliebt ist.

Empirisch begründete Gestaltung

Der Eimer ist inspiriert vom SBB-Multikübel, der seinen dreckigen Inhalt nach aussen zeigt mit Bildern. Dabei ist ein Mülleimer doch gerade dazu da, Dinge verschwinden zu lassen, die man nicht sehen möchte. Die Gestaltung sei empirisch begründet, argumentiert die Stadt. Sie hat drei Beschriftungen getestet: eine mit Fotos der jeweiligen Abfallart, eine mit Illustrationen und eine mit Fragen wie zum Beispiel: "Ist es wirklich PET" "Die Trennqualität war bei der Beschriftung mit Fotos am besten", schreibt die Stadt in einer Medienmitteilung.

Das mag sein. Doch effektiver Umweltschutz sollte uns auch ästhetisch ansprechen, gerade im öffentlichen Raum. Das Auge trennt mit. Die Ökobilanz misst sich in Zahlen, die Qualität von Design nicht. Die Form folgt der Funktion – und der Phantasie. Gutes Design kann uns dazu ermuntern, das Richtige zu tun. Wenn uns aber schon die Gestaltung eines Mülleimers abstösst, geschweige denn dessen Inhalt, wie soll dieser die Recyclingquote erhöhen?

Das Stadtmobiliar gehört zum Kulturgut, es ist ein Teil der Geschichte und Identität eines Ortes. Gelungenes Alltagsdesign löst etwas in uns aus, bisweilen ist es von einer Prise Humor begleitet wie zum Beispiel in Berlin. Die orangen Kübel in der deutschen Hauptstadt sind zwar unpraktisch klein, doch ihre knallige Farbe, die runde Form und der Sprachwitz beim Einwurf heitern den Alltag auf. Dort stehen Sätze wie: "Gib’s mir!" Oder: "Spiel mir das Lied vom Kot." Das didaktische Bürokratendesign des Zürcher Kübels hingegen will belehren statt erfreuen, selbst beim Humor: "Sie treffen ja wie eine Weltmeisterin!", steht auf einem Schild an der Seite.

Sarkastische Kübel in Berlin

Bild: Imago

Die Kübel in Berlin sind zwar unpraktisch klein, doch ihre knallige Farbe, die runde Form und der Sprachwitz heitern den Alltag auf.

Kurzum: Die Funktionalität regiert, die Gestaltung kommt zu kurz. Das gilt in Zürich generell im Tiefbau, wo der Naturstein von der Bahnhofstrasse entfernt und die Europaallee asphaltiert statt gepflastert wurde. Der Wert der Schönheit scheint überholt.

Die Wirtschaft mag Zahlen, die Nachhaltigkeit Effizienz, der Staat Kontrolle. Wohin diese Reduktion auf funktionale Aspekte führt, sieht man in Paris: Aus Angst vor Terroranschlägen demontierte man die Kübel in der Stadt. Stattdessen flattert ein transparenter Plastiksack an einem Metallring befestigt im Wind.

Neue Kübel in Basel und New York

Zürich ist nicht allein mit dem Abfalldesignproblem. In Basel beklagt sich die Bevölkerung über den Solarpresskübel mit dem Übernamen «Abfallmonster», der die Stadt laut Kritikern verunstaltet. Im Sommer gab das Tiefbauamt bekannt, 110 der Kübel aus dem Stadtbild zu entfernen. Die Politik kam mehrheitlich zum Schluss, die Solarpresskübel seien dieser Stadt unwürdig.

Solarpresskübel in Basel

Bild: Nicole Nars-Zimmer / BLZ

Die Solarpresskübel, hier am Kleinbasler Rheinufer, melden selbständig, wenn sie voll sind. Sie wurden teilweise wieder aus dem Stadtbild entfernt.

Auch New York setzt seit diesem Jahr auf einen neuen Eimer, der die ikonischen Kübel aus grünem Metallgitter ersetzt. Funktionalität steht hier ebenfalls an oberster Stelle. Der Fuss ist aus Beton, damit der Eimer nicht umfällt. Der Behälter ist geschlossen, um Ratten fernzuhalten. Die Farbe ist Graffiti-resistent. Doch im Unterschied zu Zürich ging dem Design ein Wettbewerb voran. In der "New York Times" nennt ein Passant den Kübel "beautiful, gorgeous, amazing". Das mag ein amerikanisches Overstatement sein. Der Zürcher Kübel ist eine zwinglianische Untertreibung.

Andres Herzog, «Neue Zürcher Zeitung» (16.11.2023)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion

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