Welche Falter flattern in der Stadtluft? Finden sich in den Hecken noch Blindschleichen? Und wächst am Wegesrand wirklich Spitzwegerich? Solche Fragen klingen nach Naturkundeunterricht. Doch sie halten zunehmend Behörden, Organisationen und Unternehmen auf Trab. Denn Biodiversität ist vom exotischen Hobby von Naturfreunden zu einem wichtigen Punkt auf der Agenda von Entscheidungsträgern geworden. Betriebe, die ihre Biodiversitätsrisiken im Griff haben, erlangen eher eine Genehmigung, können sich mit lokalen Gemeinschaften besser verständigen und punkten bei Investoren. Dass Biodiversität für die Menschheit überlebenswichtig ist, leuchtet schnell ein: Die Vielfalt an Arten und Ökosystemen versorgt uns mit sauberem Wasser, schützt vor Naturkatastrophen und reguliert das Klima. Weniger bekannt ist ihre Bedeutung speziell für die Wirtschaft. Tatsächlich hängt die Hälfte der globalen Wertschöpfung – von der Lebensmittelindustrie über die Baubranche bis zur Pharmaindustrie – von der Natur ab, wie das Weltwirtschaftsforum (WEF) in einer Studie schwarz auf weiss nachweist.
Ein Gamechanger
Das Problem ist nur: Biodiversität ist wesentlich komplexer zu erfassen als beispielsweise ein Treibhausgas. «Man hat erst sieben Prozent der Erdoberfläche auf Biodiversität untersucht. Es klafft eine immense Lücke zwischen unserem Wissensstand und der Realität», sagt Stephanie Feeny, Co-Gründerin des Startups DNAir aus Zürich. Aussagen über die biologische Vielfalt an einem Ort zu machen bedeutete bisher eine Herkulesaufgabe. Forschertrupps mussten tagelang Arten suchen, beobachten, zählen, sammeln und einordnen – was Biodiversitätsanalysen äusserst aufwendig und kostspielig machte.
Genau das will das Zürcher Startup DNAir mit seiner zum Patent angemeldeten Technologie ändern. Tiere, Pilze und Pflanzen geben nämlich Fragmente von genetischem Material ab. Zum Beispiel über ihren Atem, ihre Schuppen, den Schleim, den Kot oder ihre Bewegungen gelangt die Umwelt-DNA, auch eDNA genannt, in die Luft. «Mit unserer Technologie fangen wir die eDNA fast jeder lebenden Spezies in der Luft ein und werten sie aus», erklärt Feeny. Die Analyse verrät, wie es um die Fauna und Flora in einem bestimmten Gebiet steht. Oft erhält man dabei sogar Hinweise zu Arten, welche die Forschenden nie zu Gesicht bekommen haben.
«Wir können Biodiversitätsrisiken wesentlich schneller und günstiger beurteilen als mit herkömmlichen Methoden», sagt Feeny. Die Technologie von DNAir birgt das Potenzial, zum Gamechanger zu werden. Sie macht es möglich, ganze Ökosysteme zu überwachen, relativ rasch Einschätzungen über grössere Gebiete abzugeben und Aussagen über Veränderungen der Biodiversität im Zeitverlauf zu machen. So lassen sich etwa die Auswirkungen eines Projekts anhand effektiver und automatisierter DNA-Sampling-Daten beurteilen. Statt tagelanger Streifzüge durch die Gegend genügen dafür einige Stichproben aus der Luft.
Aktuell vergleicht ein Pilotprojekt des Schweizerischen Bundesamts für Umwelt (Bafu), der ETH Zürich und der Stiftung Valery die Daten, die mit der DNAir-Technologie gesammelt wurden, mit Daten aus konventionellen Methoden. «Wir verstehen uns jedoch nicht als Konkurrenz zu anderen Ansätzen. Vielmehr stellt unsere Technologie ein ergänzendes Mittel dar, um die Biodiversität unseres Planeten überhaupt erfassbar zu machen», betont Feeny.
Für Feeny ist DNAir nicht das erste Startup. Zuvor war sie Chief Growth Officer von Restor, einem Spin-off der ETH, welches das persönliche Umweltengagement mit Datensätzen aus aller Welt verknüpft. «Schon bei Restor habe ich Spezialisten von Google Schweiz kennen gelernt. Sie konnten uns damals in vielen Bereichen weiterhelfen», erinnert sich Feeny. Bei der ETH ist sie dann dem Wissenschaftler Fabian Roger über den Weg gelaufen, der seit mehreren Jahren an der Analyse von DNA-Fragmenten in der Luft forschte. Die beiden merkten rasch, dass sie sich fachlich ergänzten und aus ihrem Knowhow ein marktfähiges Produkt entwickeln könnten.