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Bild: Zoe Schaeffer

Gesellschaft Produktion & Konsum

«Wir müssen Schwein und Huhn fast gänzlich von unserem Speiseplan streichen»

Die Zürcher Kochbuchautorin Anna Pearson will den Fleischkonsum revolutionieren. Porträt einer Aktivistin, die einst Vegetarierin war – und heute aus Überzeugung Fleisch isst.

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Anna Pearson hat eine Mission, und für diese Mission isst sie viel Fleisch. Sie verarbeitet Suppenhühner zu Kroketten, grilliert Steak von der Lammschulter und brät Cordon bleu vom Schwarzen Alpschwein. Auf Instagram postet die Zürcher Kochbuchautorin Bilder von ihren Besuchen bei Landwirten und von deren Produkten. Ihre Kühltruhe ist voll mit Fleischstücken, mit denen sie an Rezepten tüftelt.

Zu Weihnachten gab es ein Flank-Steak, so gross, dass es in keinen gewöhnlichen Tiefkühler passte und auch in keine Pfanne. Sie briet es deshalb auf dem Grill. Das Fleisch hatte sie bei einem befreundeten Bauernpaar im Thurgau geholt. Es stammte von einer zwölfjährigen Kuh namens Werda. «Das Fleisch war unglaublich intensiv marmoriert, es sah aus wie vom Wagyu-Rind und schmeckte phantastisch.»

Pearson klingt wie eine Ambassadorin für Karnivoren. Aber das ist sie nicht, im Gegenteil. Die Mission der Zürcherin ist es, Menschen dazu zu bewegen, über ihren Fleischkonsum nachzudenken und ihn drastisch zu reduzieren.

Was Pearson anpackt, stösst auf viel Resonanz. Ihre Kochbücher «Zu Tisch» und «Pasta» wurden mehrfach prämiert. Via Crowdfunding sammelte sie fast 56 000 Franken und lancierte damit eine Plattform zu nachhaltigem Pouletkonsum. Das linke Zürcher Online-Portal Tsüri interessiert sich genauso für sie wie das konservative Magazin «Schweizer Bauer».

Fünfzig Kilogramm Fleisch essen die Schweizerinnen und Schweizer pro Kopf, gesamthaft fast eine halbe Million Tonnen. Jedes Jahr. Die Zahlen sind seit Jahren konstant. Am beliebtesten ist Schwein, es folgen Geflügel und Rind. Der Bioanteil ist verschwindend klein, 2021 lag er bei 6,2 Prozent.

Doch die konventionelle Tierhaltung ist unter Druck. Rinder gelten als Klimakiller, weil sie bei der Verdauung schädliches Methan ausstossen. Vielen Masttieren wird Kraftfutter zugegeben, damit sie ihr Schlachtgewicht schneller erreichen. In der Schweiz werden rund 60 Prozent der Ackerflächen für den Anbau von Tierfutter verwendet. Doch das reicht nicht ansatzweise aus, um den Bedarf zu decken. Letztes Jahr wurden 270 000 Tonnen Futtersoja importiert.

Nahrungsmittel für Menschen an Tiere verfüttern: Das gehe gar nicht, findet Pearson. Das Soja und Getreide, das Schweine, Hühner und intensiv gemästete Rinder frässen, fehle in anderen Teilen der Welt auf dem Teller. Ihre Forderung ist simpel, aber radikal: Um die Nahrungsmittelsicherheit nicht zu gefährden, sollen Nutztiere nur mit Gras oder Resten aus der Lebensmittelproduktion gefüttert werden, etwa mit Gemüse- und Getreideabfällen oder Schotte aus der Käseherstellung.

Die Folgen für die konventionelle Tierhaltung wären erheblich. Denn insbesondere Schweine und Hühner sind auf energie- und eiweissreiches Futter angewiesen, von dem viel weniger zur Verfügung stünde. Einzig Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen können problemlos nur mit Gras und Heu ernährt werden. Davon gibt es im Grasland Schweiz zur Genüge. Von dieser natürlichen Fütterung profitiert gemäss Pearson nicht nur die Gesundheit der Tiere, sondern auch die Qualität deren Fleisches. Doch damit dieses System funktioniere, brauche es eine Umstellung von Hochleistungs- auf genügsame Rassen, ohne Massentierhaltung.

Bei einer tiergerechten und ökologischen Produktion, sagt Pearson, müssten wir unseren Fleischkonsum etwa halbieren und Schwein und Huhn fast gänzlich von unserem Speiseplan streichen. Sie stützt sich auf Zahlen, die aus einer Studie der ZHAW aus dem Jahr 2018 stammen, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat.

Für Pearson ist klar: «Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir unseren Fleischkonsum reduzieren.» Wenn sie nicht gerade Kochbücher schreibt, hält sie sich daran. Sie sagt aber auch: «Zum Thema Fleisch findet keine differenzierte Diskussion statt. Wir reden nur darüber, ob wir Fleisch essen dürfen oder nicht – doch die wirklich wichtige Frage ist, welche Art von Fleisch wir sinnvollerweise essen.»

Fleischgegner arbeiten oft mit drastischen Mitteln, um Aufmerksamkeit auf ihr Anliegen zu lenken. Manche Aktivistinnen und Aktivisten ketten sich an Tiertransporter. Andere posten in den sozialen Netzwerken Bilder von verdreckten, dunklen Schweineställen und verletzten Tieren. Pearson, die als ausgebildete Designerin weiss, wie man Ideen verkauft, hat sich für einen anderen Weg entschieden: Sie schreibt ein Aufklärungsbuch über Fleisch – mit Rezepten. Pearson sagt: «Man erreicht die Leute am besten über den Genuss.»

Eine Südamerika-Reise beendete ihre Abstinenz

Pearson hat sich fast ihr ganzes Berufsleben lang mit Kochen und Essen beschäftigt. Nach einem Design-Studium zog es sie in die Gastronomie. «Für mich war immer klar, dass ich eines Tages ein Restaurant eröffnen würde.» Doch dazu kam es nicht. Zwei Jahre lang arbeitete sie als Köchin im Restaurant «Italia» in Zürich, danach wechselte sie zur Zeitschrift «Annabelle» und kreierte drei Jahre lang Rezepte für die Gourmetrubrik.

Schliesslich machte sie sich selbständig. Zusammen mit ihrer Schwester organisierte sie Tafelrunden und schrieb vor rund zehn Jahren ihr erstes Kochbuch. Heute gibt sie Kochkurse und vertreibt über ihren Verlag «Edition gut» Bücher und mit lokalen Designerinnen und Handwerkern entwickelte Küchenhelfer, Keramik und Schmuck.

Das Thema Fleischkonsum hat sie stets begleitet. Als Teenager las sie in einer Zeitschrift einen Bericht über Tiertransporte. «Ich war so entsetzt, dass ich beschloss, nie wieder Fleisch zu essen.» Aus «nie wieder» wurden zehn Jahre. Eine Reise nach Südamerika, wo Vegetarismus kaum verbreitet ist, beendete zwangsläufig ihre Abstinenz.

Doch sie fragte sich: Gibt es eine gegenüber dem Tier, der Natur und dem Menschen verantwortungsvolle Möglichkeit, Fleisch zu produzieren? Um diese Frage für sich zu beantworten, hat Pearson Studien dazu gewälzt, Experten angehört, Fachvorträgen beigewohnt. Und sie hat Landwirte besucht, die die Theorie in die Praxis umsetzen.

Wie Judith und Martin Frei. Ihr Biohof in Grüt im Zürcher Oberland ist ein Experimentierfeld für naturnahe Landwirtschaft. Und für Pearson ist er ein Paradebeispiel dafür, wie die Landwirtschaft der Zukunft funktionieren sollte.

Ihre Produkte verkaufen die Freis via Direktvermarktung, Pearson ist hier Stammkundin. Der Journalistin will Pearson gleich die Hühner zeigen, die ihrer Meinung nach besonders vorbildlich gehalten werden.

Auf dem Hof leben rund 400 Hühner von sogenannten Zweinutzungsrassen – diese können sowohl für die Eier- als auch für die Fleischproduktion eingesetzt werden. Die Tiere leben in einem mobilen Stall mit Auslauf; im Winter, wenn das Gras knapp wird, dürfen sie abfressen, was im Gemüsetunnel nach der Ernte übriggeblieben ist. Die Hennen leben mehrere Jahre bis zur Schlachtung. Normalerweise würden sie nach rund einem Jahr getötet.

Auch die Junghähne lassen Judith und Martin Frei aufziehen, die meisten allerdings auf einem anderen Hof. Mit etwa sechzehn Wochen werden sie geschlachtet und ihr Fleisch verkauft. Das ist ungewöhnlich, weil männliche Küken in der heute üblichen Eierproduktion als wertlos gelten und deshalb gleich nach dem Schlüpfen getötet werden.

Auf dem Hof in Grüt lebt rund ein Dutzend Hähne in der Herde, die eine soziale Funktion übernehmen. «Man sieht diesen Tieren an, dass es ihnen gut geht», sagt Pearson. «Sie sind nicht einfach eine Ware. Eigentlich sollten Hühner überall so gehalten werden. Doch dafür müssten wir auch unseren Eierkonsum deutlich einschränken.»

Die Freis haben sich für einen diversifizierten Betrieb entschieden, das heisst, sie haben mehrere Standbeine: Gemüse- und Obstbau, Hühner, eine kleine Rinderherde. Dabei hatten Judith und Martin Frei gar nicht vor, Rinder zu halten. Bevor sie den Hof übernahmen, waren beide Vegetarier. «Ich dachte, Rindfleisch sei immer schlecht», sagt Judith Frei, die Umweltwissenschaften studiert hat.

Doch dann habe sie gemerkt: So einfach ist es nicht. Denn wie bei vielen Landwirtschaftsbetrieben besitzen auch die Freis Grasland, das ungeeignet ist für den Ackerbau. Manchmal ist die Bodenqualität ungenügend, die Hänge sind zu steil. Aber Wiesen sind auch riesige CO2-Speicher. Damit, sagt Pearson, seien sie wertvoll fürs Klima.

Um ihre Weiden nicht ungenutzt zu lassen, entschieden die Freis sich dafür, eine kleine Rinderherde anzuschaffen. «Unser Anspruch ist es, die Kreisläufe auf dem Hof möglichst zu schliessen», sagt Judith Frei. Deshalb werden die Galloway-Rinder auf dem Hof, eine anspruchslose Rasse, nur mit Gras gefüttert. Bis sie schlachtreif sind, dauert es doppelt so lange wie auf einem konventionellen Mastbetrieb.

Die Tierhaltung auf dem Hof Rinderbrunnen ist so aufwendig, dass die Freis mit den Preisen der konventionellen Landwirtschaft nicht mithalten können. Sie setzen deshalb voll auf Direktvermarktung. «Was wir machen, lohnt sich finanziell nicht», sagt Martin Frei. «Aber dafür haben wir einen respektvollen Umgang mit den Tieren.»

Neben einem Hofladen setzen die Freis auf eine spezielle Art der Direktvermarktung: Für die Eier und das Pouletfleisch bieten sie verschiedene Abonnements an.

Die Abonnenten müssen damit leben, dass sie nicht jedes Mal gleich viele Eier erhalten. Denn wenn die Hühner in die Mauser kommen und ihr Federkleid erneuern, legen sie vorübergehend keine Eier mehr. «Wir wollen ein Bewusstsein für diese Kreisläufe schaffen.»

Die Freis sind auf Konsumenten angewiesen, die bereit sind, mehr Geld für weniger Eier zu zahlen. Bisher haben sie 250 Abos verkauft, das Geschäftsmodell rentiert ab 500 Abos.

Von Natur aus keine Pflanzenfresser

Wer Pouletfleisch vom Hof Rinderbrunnen kauft, erhält ein Produkt, das nicht vergleichbar ist mit dem Geschnetzelten oder dem Pouletbrüstli vom Grossverteiler. Sein Fleisch ist fester und aromatischer. Anna Pearson, die auch Poulet und Eier vom Hof bezieht, sagt: «Die meisten Konsumenten sind mit der Zubereitung dieses Fleisches überfordert.»

Deshalb hat sie die Plattform Huhn und Hahn lanciert, auf der sie über Zweinutzungshühner informiert und Rezepte bietet, die speziell an das anders beschaffene Fleisch angepasst sind. Pearson ist überzeugt: Wer den Hintergrund von Zweinutzungshühnern versteht, ist eher bereit, mehr Geld für Fleisch auszugeben.

Selbst geht Pearson, die mit ihrem Partner und seinem Sohn in Feldbach am Zürichsee lebt, schon lange nicht mehr beim Grossverteiler einkaufen. «Von der Massenware, die dort angeboten wird, bekomme ich schlechte Laune.» Ihre Lebensmittel holt sie deshalb im Hofladen eines Demeter-Bauern: «Ich finde es enorm wertvoll, Lebensmittel einzukaufen und zu verarbeiten, deren Geschichte ich kenne.»

Pearson ist sich bewusst: Tierische Lebensmittel zu kaufen, die nach Demeter- oder Bio-Richtlinien produziert wurden, ist nicht nur eine Glaubens- sondern auch eine Geldfrage. Auf die Eigenverantwortung der Konsumenten allein zu setzen, reiche deshalb nicht. «Solange konventionell produziertes Fleisch so billig ist, wird kein Wandel stattfinden.» Deshalb fordert sie strengere Vorschriften beim Tierschutz – und ein Umdenken bei den Subventionen. Die Bauern produzieren, wofür sie am meisten Geld bekommen. «Und das sind heute vor allem tierische Lebensmittel.»

Der Gedanke, anderen vorzuschreiben, was sie essen sollen, widerstrebt ihr. Und schulmeisterlich auftreten will sie auch nicht. Aber sie möchte einen Beitrag zum Wandel leisten. «Ich habe jeden Tag Angst davor, was die Klimaerwärmung bringt. Und ich kann nicht glauben, dass wir bei vollem Bewusstsein unsere Lebensgrundlage an die Wand fahren.»

Auch mit einer kompletten Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft müssten Tiere sterben, um Menschen zu ernähren. Warum also nicht gleich vegan leben? Das sei die falsche Schlussfolgerung. Tiere zu essen, hält sie für legitim – wenn sie wesensgerecht gehalten wurden. «Tiere gehören zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Ausserdem sind Menschen von Natur aus keine Pflanzenfresser», sagt Pearson. «Wir wären in der Evolution kaum so weit gekommen, wenn wir uns nur von Pflanzen ernährt hätten.» Und pflanzliche Reste aus der Lebensmittelproduktion nicht an Tiere zu verfüttern, sei schlicht Verschwendung.

Von Alternativprodukten wie Quorngeschnetzeltem oder Pouletimitat aus Erbsenprotein hält Pearson übrigens nichts. «Diese Lebensmittel sind hoch verarbeitet, ich glaube nicht, dass das gesund ist.» Ausserdem landeten die Resten, die bei der Produktion konventioneller veganer Fleischersatzprodukte anfielen, am Ende in den Futtertrögen der Fleischmassenproduktion – «dieses Konzept geht für mich einfach nicht auf».

Dann lieber Gemüse. Oder ein gutes Stück Fleisch.

Isabel Heusser, «Neue Zürcher Zeitung» (28.12.2023)

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