Die Zukunft ist mehr als Technik
Anstatt über eine lebenswerte Zukunft zu debattieren, diskutieren wir über die Fortsetzung der Gegenwart mit neuen Technologien. Dabei gibt es längst positive Alternativen.
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Zukunftsvision Bern 2045, ein Visual aus der «Infothek für Realutopien». Bild: REINVENTING SOCIETY & LOOMN ARCHITEKTURKOMMUNIKATION & VCS / PLAN BIODIVERS
Anstatt über eine lebenswerte Zukunft zu debattieren, diskutieren wir über die Fortsetzung der Gegenwart mit neuen Technologien. Dabei gibt es längst positive Alternativen.
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3 Min. • • Leonard Creutzburg, Co-Leiter One Planet Lab
Zahlreichen Studien zufolge blickt die Mehrheit der Menschen weltweit pessimistisch in die Zukunft – auch in der Schweiz. Besonders gross ist die Sorge um Umwelt und Klima. Das ist verständlich, denn wer die aktuellen Debatten verfolgt, stellt fest: Zukunft erscheint oft als Bedrohung, nicht als Versprechen.
Zwar reden wir über Klimaziele, Energieversorgung und Mobilität, doch allzu oft bleiben die Antworten technokratisch. Die Zukunft wird als optimierte Fortsetzung der Gegenwart gedacht. Anstelle echter Visionen stehen neue Technologien im Mittelpunkt: E-Motoren, Wasserstoff, CO2-Abscheidung oder synthetische Kraftstoffe. Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber unvollständig. Denn dieselbe Techniklogik, die viele der aktuellen Probleme mitverursacht hat, wird nun als alleinige Lösung präsentiert. Dabei zeigen sich deren Schattenseiten schon heute: Der Abbau seltener Rohstoffe für Batterien zerstört Ökosysteme und verstärkt geopolitische Abhängigkeiten, und Rechenzentren verbrauchen enorme Energiemengen. Vor allem aber steht fest: Technik allein kann keine sinnstiftende Zukunft schaffen. Sie macht uns aber glaubhaft, dass Verhaltensänderungen in der Zukunft nicht notwendig seien.
Gleichzeitig mangelt es an positiven Bildern: Was bedeutet ein gutes Leben im 21. Jahrhundert? Wie wollen wir wohnen, arbeiten, konsumieren? Wie sieht Fortschritt aus, der nicht nur effizient, sondern auch lebenswert und umweltverträglich ist? Wenn Zukunft primär als Bedrohung wahrgenommen wird – oder als technische Reparatur der Gegenwart–, erstaunt es kaum, dass viele Menschen resignieren.
Dabei gibt es längst Alternativen, die zeigen, dass Nachhaltigkeit, wirtschaftliche Vernunft und Lebensqualität kein Widerspruch sein müssen. Zum Beispiel das Konzept der «15-Minuten-Stadt», bei der man von (E-)Autos unabhängig ist: Alles Lebensnotwendige–vom Einkauf bis zur Kinderarztpraxis – soll in kurzer Gehdistanz erreichbar sein. Das reduziert nicht nur den Verkehr und verbessert die Luftqualität, sondern stärkt auch die lokale Wertschöpfung und das soziale Miteinander. In dieser «regenerativen Stadt» geht es um eine Rückbesinnung auf Nähe, Sicherheit und Zeit– klassische Werte, die angesichts wachsender Komplexität wieder Sinnhaftigkeit kreieren können.
«Es mangelt an öffentlichen Debatten über positive Perspektiven.»
Leonard Creutzburg
Co-Leiter One Planet Lab
In Städten wie Paris und Barcelona werden diese Konzepte bereits erfolgreich umgesetzt. Verkehrsberuhigte Quartiere, begrünte Innenhöfe und lokale Versorgungskonzepte tragen dort messbar zur Lebensqualität bei. In Basel-Stadt wird das Konzept als 10-Minuten-Nachbarschaft diskutiert – initiiert durch die Liberal-Demokratische Partei. Solche sozialen Innovationen machen deutlich: Eine zukunftsfähige Gesellschaft entsteht nicht allein durch technologischen Fortschritt, sondern durch das innovative gesellschaftliche Zusammenspiel von Gestaltung, Verantwortung und Gemeinsinn.
Woran es jedoch mangelt, ist eine breitere öffentliche Debatte über diese positiven Perspektiven. Dadurch fehlt der gesellschaftliche Kompass, der zeigt, wofür der Wandel eigentlich stehen kann. Dabei liegt das eigentliche Potenzial in der Frage, wie wir als Gesellschaft wieder zu einer Vorstellung kommen, was ein gutes Leben bedeutet. Eine Vorstellung, die über Konsumniveaus und Wachstumsraten hinausgeht.
Wir brauchen keine technikfreien, aber auch keine technikgläubigen Utopien, sondern eine pragmatische Vision einer modernen, verantwortungsvollen und ökologisch tragfähigen Gesellschaft, in der Menschen gerne leben und wieder positiv in die Zukunft blicken. Dafür braucht es Politikerinnen, Stadtplaner, Unternehmerinnen und Bürger, die sich für solche Modelle einsetzen – und den Mut haben, über das Bestehende und Immergleiche hinauszudenken.
Denn Zukunft entsteht nicht von selbst – und sie ist nicht alternativlos. Sie wird gestaltet und sollte nicht verwaltet werden. Und sie beginnt mit einer einfachen, aber entscheidenden Frage: Wie wollen wir eigentlich leben – im Bewusstsein unserer Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft? Vielleicht so: In einer Nachbarschaft, in der man keinen Parkplatz mehr braucht, um Freiheit zu spüren.
Der Autor ist Verantwortlicher für neue Wirtschaftsmodelle und Zukunftsfragen bei WWF Schweiz.
Dieser Artikel behandelt folgende SDGs
Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.
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