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Klima & Energie

Die Weltmeere sind so warm wie nie – und Klimawissenschafter verstehen nicht, warum

Seit Monaten brechen die Temperaturen der Meere alle Rekorde. Sie liegen noch deutlich höher, als natürliche Phänomene und Klimawandel erwarten liessen. Das hat Folgen für das Leben im Meer und für uns.

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Der Frühling kündigt sich dieses Jahr besonders früh an. Mit Höchsttemperaturen von 10 bis 12 Grad Celsius ist es in der Schweiz rund 5 Grad wärmer als im Durchschnitt über viele Jahre. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Einer der Gründe für den besonders milden Wintermonat ist der Wind, der immer wieder vom Nordatlantik her weht. Dieser Ozean ist gegenwärtig so warm wie nie zuvor in dieser Jahreszeit.

Seit Monaten brechen die Wassertemperaturen Rekorde. Seit Anfang 2023 war die Temperatur an der Oberfläche des Nordatlantiks immer die höchste, die zur jeweiligen Jahreszeit je gemessen wurde. Im Moment ist das Wasser 1 Grad wärmer als im Mittelwert von 1991 bis 2020 – und ganze 0,4 Grad wärmer als der bisherige Rekord im Februar. Die derzeitigen 20 Grad Celsius des Nordatlantiks würde man im Mai erwarten, nicht im Februar.

Nicht nur der Nordatlantik ist aufgewärmt. Wenn man sich alle Ozeane der Erde anschaut, zeigt sich ein ähnliches Bild. Mit 21,1 Grad wurde diesen Februar die höchste globale Ozeantemperatur aller Zeiten registriert. Insgesamt liegen die Temperaturen der Weltmeere diesen Februar 0,7 Grad über dem Mittelwert von 1991 bis 2020.

Die Daten kommen von der amerikanischen Klimabehörde Noaa. Deren Fachleute tragen Messungen von Satelliten, Schiffen und Bojen überall auf der Welt zusammen, um die Temperaturen an der Meeresoberfläche so genau wie möglich zu bestimmen.

Wissenschafter suchen Erklärungen für die Rekordtemperatur

An den Temperaturen der Ozeane lässt sich die globale Erwärmung besonders gut erkennen. Denn 90 Prozent der zusätzlichen Wärme wird in den Meeren gespeichert. Entsprechend zeigt sich ein klarer langfristiger Trend: Die Ozeane werden immer wärmer.

Doch dass derzeit auf der globalen Skala alle vorherigen Rekorde um Längen gebrochen werden, überrascht sogar Fachleute wie den Klimaforscher Erich Fischer, der an der ETH Zürich lehrt. Das Ausmass des Wärmerekords sei auch angesichts des langjährigen Trends extrem, sagt Fischer.

Einen Teil der hohen Ozeantemperaturen erklärt ein natürliches Phänomen: El Niño.

Dadurch steigen vor allem im tropischen Pazifik die Wassertemperaturen. Doch die ungewöhnlichen Temperaturen im Nordatlantik kann El Niño nicht erklären. Sie stellen Wissenschafter bis jetzt vor ein Rätsel. «Es ist unklar, ob die anhaltende Wärme im Nordatlantik das Resultat eines ausserordentlich seltenen Zusammenspiels von Zufällen ist oder ob allenfalls weitere Faktoren eine Rolle spielen», sagt Fischer.

Der Klimawissenschafter Nicolas Gruber, ebenfalls von der ETH Zürich, schliesst sich dieser Einschätzung an. Es sei möglich, dass der Temperatursprung zufällig entstanden sei, sagt er. Doch statistisch sei die Wahrscheinlichkeit dafür gering.

Die Suche nach Erklärungen für das aussergewöhnliche Phänomen dauert an. Ein Faktor, der für besonders hohe Temperaturen im Nordatlantik sorgen könnte, sind die momentan schwachen Winde. Wind kann das Meer abkühlen, indem er die Verdunstung verstärkt. Ausserdem kann er Strömungen auslösen, die kaltes Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche bringen. Momentan ist diese Zirkulation zwischen kalten tiefen Schichten des Ozeans und der oberflächlichen warmen Schicht besonders gering.

Spekuliert wird auch, ob der Rückgang von schwefelhaltigen Emissionen in der Schifffahrt einen Einfluss hat. Sulfatpartikel in der Luft werfen einen Teil der Sonnenstrahlung zurück, bevor sie die Erde erreicht, und begünstigen ausserdem die Bildung von Wolken. Dank EU-Regulierungen haben die Schwefelemissionen von Schiffen seit 2020 um 80 Prozent abgenommen. Sind weniger Partikel und Wolken in der Luft, kommt mehr Strahlung an, die das Meer aufheizen kann. Doch noch ist unklar, ob und wie stark dieser Effekt tatsächlich zu den hohen Temperaturen im Atlantik beiträgt.

Die Unsicherheit bei den Gründen für die aussergewöhnlichen Temperaturen spiegelt sich in der Tatsache, dass niemand mit Sicherheit sagen kann, wie sich die Temperaturen weiterentwickeln werden. Es ist gut möglich, dass sie sich im Laufe der nächsten Wochen oder Monate wieder durchschnittlichen Werten annähern. Doch sicher ist das nicht. Nicolas Gruber schätzt, dass auf globalem Level die Temperaturen noch bis in den März oder April hinein steigen werden. Denn erst danach wird sich El Niño abschwächen, und man kann mit kühleren Temperaturen im Pazifik rechnen. «Ob es dann wirklich zurückgeht in den Normalbereich, das können wir nicht voraussagen», sagt Gruber.

Korallensterben, Hurrikane und Hitzewellen könnten kommen

Die Hitze in den Meeren hat Folgen. Für Meereslebewesen und Korallen können marine Hitzewellen lebensbedrohlich sein. Dauerhaft erhöhte Temperaturen bedrohen ihre Lebensräume und können ganze Ökosysteme zerstören. Hinzu kommt, dass warmes Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen kann und dieser aufgrund der geringeren Zirkulation auch schlechter in tiefe Schichten vordringt. Langfristig könnte den Fischen also die Luft knapp werden.

Doch nicht nur das Leben im Wasser ist bedroht. Warmes Wasser dehnt sich aus. Deshalb sind allein die höheren Temperaturen der Ozeane für ein Drittel bis die Hälfte des globalen Anstiegs des Meeresspiegels verantwortlich.

In Amerika machen sich Meteorologen Sorgen, dass sich in diesem Jahr besonders viele und starke Hurrikane im Nordatlantik bilden können. Denn ausgerechnet in dem Ozeangebiet, wo die Wirbelstürme entstehen, ist das Wasser zurzeit besonders warm. Und über warmem Wasser können Hurrikane besonders viel Wucht entwickeln. Auch dass El Niño zu Ende geht, trägt zu dieser Gefahr bei. Während El Niño unterdrücken starke Winde im Nordatlantik oft die Bildung von Hurrikanen. Im Sommer aber, wenn die Wirbelsturmsaison richtig losgeht, werden diese Winde abgeflaut sein.

Die Auswirkungen auf das Wetter in Europa sind weniger gut abzuschätzen. Die Zusammenhänge zwischen Meeres- und Lufttemperaturen sind komplex, und Hitzewellen lassen sich nicht zuverlässig Monate im Voraus vorhersagen. Grundsätzlich fördern warme Ozeane aber hohe Lufttemperaturen. Von Copernicus, dem Erdbeobachtungsprogramm der EU, heisst es, die entscheidende Ursache für die ungewöhnlichen Lufttemperaturen im Jahr 2023 seien die beispiellos hohen Oberflächentemperaturen der Ozeane. Auch 2024 könnte also ein Hitzejahr auf uns zukommen.

Die Grössenordnung der Temperaturrekorde auf dem globalen Level macht Klimawissenschafter nervös. Denn noch entziehen sie sich ihrem Verständnis. «Manchmal ist man vorausblickend, und manchmal rennt man den Entwicklungen hintennach», sagt Gruber. «Und im Moment sind wir am Hintennachrennen.»

Anna Weber, Sven Titz, Roland Shaw, «Neue Zürcher Zeitung» (04.03.2024)

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