Dabei ist nicht zu übersehen, dass zunächst Grossunternehmen und in deren Lieferketten auch die KMU gewaltig unter Druck stehen. Eng verflochten mit globalen Lieferketten, sehen sich die Unternehmer heute massiver denn je herausgefordert, den Weg zur Dekarbonisierung konsequent zu beschreiten und den zunehmenden internationalen Vorgaben und Regularien zu entsprechen. Wer nicht mitzieht, läuft Gefahr, Investoren zu verprellen, Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, sogar von der Lieferantenliste seiner Kunden gestrichen zu werden. In dieser Situation gehen viele Unternehmen mit Eigeninitiativen voran. Hier werden drei von ihnen vorgestellt.
Modell für Zielvereinbarungen
Um nachhaltige Beiträge an das Netto-Null-Ziel im Unternehmen leisten zu können, hat die Energie- Agentur für Wirtschaft (EnAW) schon vor 20 Jahren ein eigenes Modell für Zielvereinbarungen entwickelt. «Schon seit über 20 Jahren setzen wir gemeinsam mit den Unternehmen auf wirtschaftlichen Klimaschutz», erklärt Co-Geschäftsführer Thomas Weisskopf. Mehr als 100 Beraterinnen und Berater der EnAW begleiten Unternehmen auf ihrem Weg zu weniger CO2, weniger Kosten und mehr Energie- und Ressourceneffizienz.
Das Modell für das drei- bis sechsmonatige Verfahren der Zielbildung mit anschliessendem jährlichen Monitoring folgt einem klaren Reglement und bietet finanzielle Anreize. Mit Unterstützung der EnAW werden zunächst sämtliche Prozesse und Einrichtungen eines Betriebs im Rahmen eines Energie-Check-ups durchleuchtet, danach Potenzialanalysen erstellt und schliesslich ein Massnahmenkatalog ausgearbeitet.
Mehr als 4000 Unternehmen mit gut 8000 Betriebsstätten haben bisher über die EnAW Zielvereinbarungen mit dem Bund unterzeichnet. Das deckt etwa 50 Prozent des CO2- Ausstosses aller Schweizer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ab. Investiert haben die Firmen dabei rund neun Milliarden Franken – und das zeigt Wirkung: Der CO2-Ausstoss der beteiligten Unternehmen ging im Vergleich zum Basisjahr 2001 um 30 Prozent zurück. Eine echte «Erfolgsstory», so Weisskopf, liefere die Industrie: Sie habe als einziger Sektor der Schweiz die internationalen Klimaziele noch übertroffen: mit –35 Prozent CO2-Emissionen in der Zeit von 1990 bis 2020 (exkl. Abfallverwertung).
Roadmap zur Dekarbonisierung
So manchem CEO dürfte die angepeilte Dekarbonisierung den Schlaf rauben: Was muss ich alles im Betrieb aufgleisen, um die Klimaziele zu erreichen und weiterhin ökonomisch erfolgreich zu sein? «Die Herausforderungen sind enorm. Damit wächst auch das Bedürfnis nach einem tragfähigen Umsetzungsplan zur Dekarbonisierung», so Thomas Weisskopf. Die Roadmap, die die EnAW entwickelt hat, ist kein Einheitsprodukt von der Stange. «Als Berater müssen wir die Bedürfnisse und Machbarkeiten im jeweiligen Unternehmen verstehen und auf sie eingehen», so Weisskopf. «Die Herausforderung liegt darin, alle relevanten technischen, wirtschaftlichen und sonstigen Aspekte genau zu erfassen und eine Gesamtlösung zu entwickeln, die auch realistischerweise umgesetzt werden kann.»
Dabei sei das Bekenntnis zum Endziel «Netto- Null» in den allermeisten Fällen der erste wichtige Schritt, erklärt Weisskopf. Das Management muss ein klimaneutrales Wirtschaften wirklich wollen. Denn eine Roadmap geht deutlich weiter als eine Zielvereinbarung. Im Fokus stehen hier nicht nur die Emissionen, die ein Unternehmen selbst verursacht beziehungsweise in Form eingekaufter Energie generiert (Scope 1 und 2 gemäss dem Standard «Greenhouse Gas Protocol»), sondern auch die indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette – sprich: bei den Zulieferern – entstehen (Scope 3). Die EnAW will es den Unternehmen möglichst leicht machen und hat webbasierte Tools entwickelt, die den Prozess von A bis Z digital unterstützen.
Science Based Targets initiative
Trotz messbarer Erfolge ist der Weg zu Netto-Null immer noch weit und steinig. Dieses Ziel wurde im Pariser Klimaabkommen zur Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad nicht willkürlich festgelegt, sondern basiert auf anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, ist also «science-based ». Der Bund hat dazu Absenkpfade für Emissionen definiert, die ebenfalls ambitioniert sind, aber nur die internationale «Science Based Targets initiative » (SBTi), die 2015 von Unternehmen, dem WWF und weiteren Organisationen gegründet wurde, ist mit dem 1,5-Grad-Ziel konform. SBTi fordert eine reglementierte Kurz- und Mittelfristplanung und eine regelmässige Klimabilanzierung. Die Initiative wird in der Schweiz unter anderem vom Dachverband der Wirtschaft, economiesuisse, unterstützt. Hierzulande haben sich bis Ende 2022 bereits über 100 Unternehmen freiwillig ein wissenschaftsbasiertes Klimaziel nach SBTi gesetzt. Das ist ein grosser Schritt: Nimmt man alle geschätzten Emissionen der Schweizer Unternehmen zusammen, die sich unter SBTi verpflichtet haben, kommt man auf Einsparungsverpflichtungen von 450 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – ein Zehnfaches der gesamten Inlandsemissionen des Landes.
So sagt auch Alexander Keberle, Bereichsleiter Energie und Umwelt bei economiesuisse: «Die Eigeninitiative der Unternehmen ist sehr ambitioniert. Wir sind beeindruckt, wie sie hier Gas geben.»