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Hat sich der Wind bei der Stromversorgung gedreht?

Bild: Sustainable Switzerland

Klima & Energie

Hat sich der Wind bei der Stromversorgung gedreht?

Das Ziel: Umsteigen von fossilen auf erneuerbare Energiequellen bis 2050. Doch wie gelingt es, von Gas und Erdöl auf Solar-, Wasser- oder Windkraft zu wechseln? Und warum dauert es mehr als 15 Jahre, um ein Windrad aufzustellen?

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Im Herbst 2022 zitterte die ganze Welt vor der drohenden Energiemangellage im Winter – man fürchtete Stromausfälle und Unterbrüche in der Versorgung. Grund dafür war die massive Drosselung der russischen Erdgasexporte nach Europa, während gleichzeitig der Bedarf an Strom und Wärme stieg. Die Versorgungssicherheit ist nicht nur ein aktuelles Thema, sondern wird uns über die kommenden Jahrzehnte beschäftigen (müssen). Aber statt verstärkt auf erneuerbare Energiequellen zu setzen, halten wir immer noch mehrheitlich an fossilen Brennstoffen fest.

Enormes Potenzial in der Luft

Oder hat sich hierzulande der Wind bei der Stromversorgung gedreht? Sind bereits grössere Veränderungen festzustellen? Mit Blick auf die Windenergie lautet die Zwischenbilanz: leider nein. Heute werden mit Windenergie erst 0,2 Prozent des Schweizer Strombedarfs abgedeckt. Der Wert ist genauso gering wie vor fünf Jahren. Laut Energiestrategie des Bundes soll der Anteil bis 2050 auf immerhin 7 Prozent steigen.

Doch gerade in den Wintermonaten könnten gemäss EnergieSchweiz mit Windenergieanlagen zwei Drittel des Stroms gewonnen werden. Gerade in der dunklen Jahreszeit wäre diese Energiequelle eine ideale Ergänzung zu Photovoltaik und Wasserkraft. Doch warum verzeichnen erst ein Dutzend Gemeinden in der Schweiz ein Windenergieprojekt auf ihrem Gebiet? Allein im Kanton Zürich gibt es 46 potenzielle Standorte für über 120 grosse Anlagen.

Solarenergie wird ausgebaut, Windenergie nicht

Quelle: Bundesamt für Energie

Um die Energiestrategie des Bundes zu verwirklichen, müsste spätestens ab 2030 alle zwei Monate eine neue Windturbine aufgestellt werden. Machbar? Unser Nachbar im Norden zeigt vor, dass es geht. «In Deutschland wird Windenergie bereits viel mehr genutzt. Das Bundesland Baden-Württemberg, das direkt an die Schweiz grenzt, hatte 2020 bereits so viele Windenergieanlagen in Betrieb, wie die Schweiz bis 2050 total bauen will», so Markus Geissmann, Leiter Bereich Windenergie im Bundesamt für Energie (BFE).

Bürokratischer «Alp-Traum»

Um die Versorgungssicherheit langfristig zu garantieren, muss die Infrastruktur an erneuerbaren Energieträgern rechtzeitig ausgebaut werden. Wie eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) im Auftrag von Sustainable Switzerland zeigt, wird bis 2030 allein der Strombedarf um fast ein Drittel in die Höhe schiessen. Bei der Berechnung der Mehrinvestitionen für die Aufrüstung des Energiesektors ergibt dies einen Betrag von 49 Milliarden Franken. Ein Grossteil dieser Investitionen würde dabei in den Bau von Photovoltaikanlagen fliessen. Der Grund: Bei den anderen erneuerbaren Energiequellen bestehen enorme Hindernisse, die es zu bewältigen gilt. Bei Wasserkraft ist die Kapazität laut BCG bereits zu 95 Prozent ausgeschöpft. Und obwohl Windenergie im Vergleich über grosses Potenzial verfügt, ist die Umsetzung von Projekten bürokratisch hoch kompliziert.

EnergieSchweiz hält dazu fest: «Einen Windpark zu bauen ist kein schneller und einfacher Prozess. Von der ersten Idee bis zu der Umsetzung muss ein Windpark mehrere Hürden überwinden und hohen Standards genügen. Der Bund gibt die Ziele vor. Die Kantone legen in ihren Richtplänen die Standorte fest. Der Bund muss diese genehmigen. Die kantonalen Fachstellen müssen die Umweltverträglichkeit der Detailplanung eines Windparks genau prüfen und gutgeheissen. Am Schluss entscheidet die Gemeinde über die Baubewilligung für die Windräder. Der lange Prozess stellt sicher, dass jedes Windrad alle Vorschriften einhält und alle Interessen gegeneinander abgewogen sind.»

Die Folgen der aufwändigen Bewilligungsverfahren: Es dauert rund 15 Jahre, bis hierzulande ein Windrad aufgestellt werden kann. Obwohl es gerade in den Bergregionen zwischen Oktober und März viel Windkraft zu gewinnen gäbe, ist deren Bau ein sehr aufwändiges Unterfangen. Dabei könnte genau dann, in den Wintermonaten, die fehlende Energie produziert werden, die Photovoltaikanlagen in diesem Zeitabschnitt nicht erbringen können. Wohl auch der Hauptgrund, warum besonders in der kalten Jahreszeit viel Energie importiert werden muss. Doch wegen Verzögerungen bei den Bewilligungsverfahren rechnen die Energieperspektiven des Bundes damit, dass der Ausbau von Windanlagen erst in zwölf Jahren nennenswert ansteigen wird.

Windenergie

Quelle: Bundesamt für Energie

Wind und Liebe allein reichen nicht

Das könnte zukünftig zum Problem werden: Wie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) berechnet hat, müsste hierzulande das Solarkraft-Potenzial von den heutigen 2 auf deutlich über 30 Terawattstunden ausgebaut werden, um die Ziele der Energiestrategie 2050+ zu erreichen. Nur so gelänge es, die Elektrifizierung der Wirtschaft zu gewährleisten und die Abschaltung der Atomkraftwerke auszugleichen.

Ein Fazit dazu von der NZZ-Klimajournalistin Kalina Oroschakoff: «Damit die Klimaziele erreicht werden können, müssen neue Anlagen für erneuerbare Energie genehmigt und schleppende Bürokratieprozesse beschleunigt werden. Es braucht Rohstoffe, die entweder in Europa neu abgebaut werden oder importiert werden müssen. Neue Fabrikgelände werden eröffnet werden müssen. Und es braucht eine grosse Menge an Fachkräften, damit grüne Technologien und Anwendungen auch installiert werden können. All das bringt Zielkonflikte hervor, in denen Politiker, Unternehmer, Bürger und Aktivisten aneinandergeraten werden.»

Es sind daher weitere Impulse und ein verstärktes Engagement erforderlich, damit sich in der Schweiz der Wind bei der Stromversorgung effektiv und effizient dreht.

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