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Vanessa Nakate

Aktivistin Vanessa Nakate am Global Citizen NOW Gipfel im April 2023 in New York. Foto: Getty Images

Produktion & Konsum

Ist das Geschäft mit Emissionsgutschriften Ablasshandel oder Geldquelle? In Kenya scheiden sich die Geister

Anfang September fand der Africa Climate Summit in Nairobi statt. Auf den Strassen forderten die Klimaaktivistin Vanessa Nakate aus Uganda und viele andere NGO eine grüne Energiewende und den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen.

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Ist das Geschäft mit Emissionsgutschriften Ablasshandel oder Geldquelle? In Kenya scheiden sich die Geister

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Ein paar Franken mehr zahlen, um den CO2-Ausstoss, der beim Fliegen oder Konsumieren entsteht, auszugleichen: In Europa sind solche CO2-Kompensationsprojekte seit Monaten unter Beschuss. Kritiker sehen in ihnen kaum mehr als einen grün verpackten Ablasshandel. Anstatt zum Klimaschutz beizutragen, entlasse der Kauf von Emissionsgutschriften umweltverschmutzende Unternehmen aus ihrer Verantwortung, so die unter Aktivisten und Umweltorganisationen weitverbreitete Sorge.

In Kenya kann man zurzeit eine andere Entwicklung beobachten: Die Politik setzt auf den Ausbau von Kompensationsprojekten und den Handel mit CO2-Gutschriften. Präsident William Ruto bezeichnet sie gar als «Goldmine».

Am Africa Climate Summit, einer Konferenz, die Anfang September in der Hauptstadt Nairobi Staatsoberhäupter, Klimaaktivistinnen und Investoren zusammenbrachte, sagte Ruto: «Afrika kann ein grünes industrielles Zentrum sein, das anderen Regionen hilft, ihre Netto-Null-Strategie bis 2050 zu erreichen.»

Was steckt hinter Rutos Botschaft? Die Antwort ist simpel: Geld. Noch fliessen zu wenige Milliarden, um betroffene Länder in Afrika dabei zu unterstützen, sich gegen die Gefahren des Klimawandels zu wappnen und ihre Wirtschaft grün umzurüsten. Laut der Denkfabrik Climate Policy Initiative braucht Afrika mindestens 250 Milliarden Dollar pro Jahr an privaten Investitionen und Hilfsgeldern für die Anpassung, erhält aber bisher nur 12 Prozent davon.

Ein Versprechen der Industrieländer aus dem Jahr 2009, jährlich 100 Milliarden Dollar an jene Länder zu zahlen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, blieb bisher unerfüllt – trotz alljährlichen Bekundungen, dass man die Marke bis zum nächsten Jahr erreichen werde.

In Nairobi wurde deutlich, dass afrikanische Politiker, ob Ruto oder Politiker aus Rwanda und Tansania, es zunehmend selbst in die Hand nehmen, die dringend notwendigen Geldflüsse in die Region zu leiten.

Statt sich als blosse Opfer von Hitzewellen, Dürren und Waldbränden zu gebärden, will man Initiative ergreifen und attraktive Bedingungen für Investitionen durch den Privatsektor schaffen. Das in den Klimaverhandlungen sonst gängige Narrativ – an dem auch afrikanische Vertreter im Rahmen der Weltklimakonferenz gerne stricken – soll nicht mehr gelten.

Afrika sei weder arm noch verzweifelt, sagte Ruto in Nairobi. Im Gegenteil: «Wir müssen in grünem Wachstum nicht nur eine Notwendigkeit für den Klimaschutz sehen, sondern auch eine Quelle milliardenschwerer wirtschaftlicher Möglichkeiten, die Afrika und die Welt nutzen wollen», so der umtriebige kenyanische Politiker.

Der Markt soll es richten

Er setzt dabei, wie viele andere Staatschefs in der Region, auf Marktinstrumente – insbesondere das Geschäft mit CO2-Gutschriften für private Unternehmen. Diese werden in der Regel mittels Projekten generiert, die entweder den Schutz der Wälder, den Bau von sauberen Öfen oder den Bau von Anlagen für erneuerbare Energien zum Ziel haben.

Die aufstrebenden afrikanischen Staaten wollen sicherstellen, dass sie an dem 2-Milliarden-Dollar-Markt verdienen. Hochrechnungen von Organisationen wie der Beratungsfirma Boston Consulting Group sagen voraus, dass dieser bis 2030 um mindestens das Fünffache wachsen werde.

Die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen, der Klimabeauftragte der kenyanischen Regierung, Ali Mohamed, argumentiert jedoch genauso. Am Telefon sagt er: «Afrika ist reich an natürlichen Ressourcen – wir haben Wälder, Torfgebiete, Mangroven, Grassteppen. Wir tragen viel dazu bei, die globalen Emissionen zu senken, profitieren aber nicht.»

Der Markt sei riesig, sagt Mohamed, aber nur ein kleiner Anteil der Investitionen sei bisher nach Afrika geflossen. Es gehe darum, diesen Markt anzuzapfen. CO2-Gutschriften sollen laut Präsident Ruto Kenyas «nächstes wichtiges Exportprodukt» werden.

Schon jetzt produziert Kenya laut Regierungsangaben ein Viertel aller CO2-Gutschriften auf dem Kontinent, zwischen 2016 und 2021 waren es 26 Millionen Zertifikate. Die Regierung schätzt, dass sie ab 2030 jährlich 20 bis 25 Millionen Zertifikate herstellen und so 500 Millionen Dollar einnehmen könnte.

Kenya ist auch eine treibende Kraft hinter der Africa Carbon Markets Initiative, die vergangenen November auf der COP27-Weltklimakonferenz in Sharm al-Sheikh lanciert wurde. Sie zielt darauf ab, die Zahl der auf dem afrikanischen Kontinent geschaffenen Zertifikate bis 2030 auf 300 Millionen pro Jahr zu steigern – das wäre das 19-Fache der jetzigen Summe.

Projekte vor Ort

Ein Beispiel für ein kenyanisches Kompensationsprojekt ist ein Wildkorridor zwischen den Nationalparks Tsavo East und Tsavo West, deren Wälder im Rahmen eines Zertifikatsprogramms geschützt werden, das die amerikanische Firma Wildlife Works leitet. Unter anderem der Ölriese Shell und der Streaming-Anbieter Netflix haben dort Zertifikate erworben. Das Versprechen: Indem die Abholzung verhindert wird, werden Emissionen eingespart, die Unternehmen jeweils selbst anrechnen können.

Kenya gibt sich aber nicht nur mit CO2-Zertifikaten als grünes Vorreiterland in Afrika. Das Land deckt bereits rund 80 Prozent seines Energiebedarfs durch erneuerbare Energien, unter anderem mit Geothermie. Bis 2030 sollen 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Die kenyanischen Bemühungen sind auch davon getrieben, dass das Land mit etwas mehr als 50 Millionen Einwohnern über keine grossen Öl- und Gasvorkommen verfügt – anders als viele afrikanische Länder.

Kritik wird laut

Während kenyanische Regierungsvertreter die Erlöse durch CO2-Kompensationsprojekte fördern, widersetzen sich Aktivisten dem politischen Vorstoss. Amnesty International warnte kurz vor dem Treffen in Nairobi davor, «gefährliche Ablenkungsmanöver» zu unterstützen. Die Organisation spielt damit auf den Handel mit Gutschriften an. Statt dass dadurch die Interessen afrikanischer Gemeinschaften gestärkt würden, profitierten am Ende wieder nur der «globale Norden, reiche Nationen und grosse Unternehmen».

Mohamed Adow von der kenyanischen Denkfabrik Power Shift Africa veröffentlichte zur selben Zeit eine Analyse, um gegen die von Kenya unterstützte Africa Carbon Markets Initiative zu wettern. Statt auf Gutschriften zu setzen, sollten Industrieländer lieber direkt in Projekte für erneuerbare Energien investieren. Das würde auch den dringend notwendigen Energiezugang für Afrikaner verbessern.

Adow ist dabei vor allem besorgt, dass das Geschäft mit den Emissionsgutschriften eine Kommerzialisierung der afrikanischen Natur und ihrer natürlichen Ressourcen darstelle. Am Ende werde mit Phantomprodukten gehandelt, anstatt Emissionen zu reduzieren, sagt der langjährige Aktivist. Er fordert: «Wir brauchen klügere Investitionen aus dem globalen Norden.»

Kritik wird laut

Kenyanische Projekte sind erst kürzlich in die Kritik geraten. Im Norden des Landes wurde ein grosses Projekt suspendiert, nachdem ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Survival International Messmethoden in Zweifel gezogen und kritisiert hatte, das Projekt habe die traditionelle Weidewirtschaft der lokalen Bevölkerung massiv beeinträchtigt. Auch beim Waldschutzprojekt zwischen den Nationalparks Tsavo East und Tsavo West heisst es, die Anbieter der Zertifikate würden die Bedrohung durch Abholzung übertreiben.

Ali Mohamed, der Klimabeauftragte der Regierung, kennt die Kritik. Er sagt, es brauche Transparenz und Integrität – das heisst: eine gute Regulierung. Kenya arbeitet gerade an einer Revision seines Klimagesetzes, sie soll einen rechtlichen Rahmen für die Regulierung der CO2-Zertifikate im Land schaffen. «Natürlich wollen wir nicht, dass Zertifikate Käufern erlauben, ihre Emissionen abzuschreiben und mit der Verschmutzung weiterzumachen», sagt Mohamed.

Kenya ist nicht das einzige Land in der Region, das in den vergangenen Monaten neue oder angepasste Regeln für den Umgang mit Kompensationsprojekten angekündigt hat.

Qualitäts-Check

Die politische Aufmerksamkeit für die Frage, wie Länder von den Emissionsgutschriften profitieren können, steigt nicht nur in Afrika. Auch die EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen warb in ihrer Rede in Nairobi für Emissionsgutschriften als eine wichtige Finanzquelle für die Länder. Sie mahnte jedoch auch: Auf die Qualität der Projekte komme es an, um sicherzustellen, dass Gutschriften tatsächlich Emissionsminderungen darstellten.

Die deutsche Europapolitikerin spricht damit ein heikles Thema an. Seit Monaten ist der Markt nicht nur in Kenya unter Druck, allen voran Waldschutzprojekte in Regenwaldregionen sind unter Beschuss geraten. Viele von ihnen haben laut Studien sehr viel mehr Emissionseinsparungen versprochen, als in der Realität stattgefunden haben.

Die Enthüllungen haben während der letzten Monate das Selbstverständnis der Branche erschüttert. Mächtige Unternehmen wie die Schweizer Firma South Pole geraten immer wieder in die Schusslinie. Sie bemühen sich nun, das Vertrauen in die eigenen Projekte wiederherzustellen. Neue Initiativen werden branchenweit gegründet, um den Markt besser zu kontrollieren.

Aber Kritik zielt nicht nur auf afrikanische Projekte für private Unternehmen ab. Die Schweiz ist erst kürzlich wieder unter Druck geraten, ihre Klimapolitik zu rechtfertigen. Das Land ist das einzige in Europa, das ausländische Projekte finanziert, um sich die eingekauften Emissionseinsparungen offiziell anzurechnen. Projekte in Afrika spielen dabei eine wichtige Rolle.

In dieser Woche wurde eine Warnung des ETH-Forschers Marc Kalina laut. Seine Kritik zielt vor allem auf Biogasanlagen in Malawi, die er in einer Studie untersuchte. Er sagt, die Gefahr sei gross, dass Schweizer Millionen ohne Nutzen für Menschen und Umwelt verpufften.

Um wie viel Geld geht es wirklich?

Dennoch steht fest: Afrikanische Länder benötigen Millionen, ja Milliarden, um sich gegen den Klimawandel zu wappnen. Der CO2-Markt werde jedoch nicht die Hauptquelle für die geforderten Summen sein, sagt Margaret Kim, die Geschäftsführerin von Gold Standard. Die gemeinnützige Organisation, die 2003 vom WWF und von anderen NGO mit Sitz in Genf gegründet wurde, zertifiziert CO2-Gutschriften. Sie zählt zu den grössten Vermittlern auf dem Markt.

Voreilige und enthusiastische Versprechen von politischen Eliten seien mit Vorsicht zu geniessen. «Viele afrikanische Länder arbeiten konstruktiv mit dem Privatsektor, um Finanzierungsfragen ganzheitlich anzugehen. CO2-Märkte sind in diesem Kontext nur ein Tropfen auf den heissen Stein», so Kim. Sie warnt davor, falsche Erwartungen zu schüren.

Das heisst natürlich nicht, dass Kompensationen keine Rolle spielen werden. CO2-Märkte sollen laut Kim eine finanzielle Lücke füllen und neue Finanzierungsmöglichkeiten schaffen: «Diese Rolle werden sie auch künftig spielen.» Ihre Botschaft an afrikanische Regierungschefs lautet deswegen: «Es ist ein nützliches Werkzeug im Werkzeugkasten, aber nicht das einzige Instrument.»

[Kalina Oroschakoff & Samuel Misteli, «Neue Zürcher Zeitung» (21.09.2023)

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