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Der Solar-Boom bringt das Stromnetz an den Anschlag

Bild: Andreas auf Pixabay

Klima & Energie

Der Solar-Boom bringt das Stromnetz an den Anschlag

Weil im Sommer massenweise Solarstrom produziert wird, droht das Verteilnetz aus dem Gleichgewicht zu geraten. Braucht es bereits wieder einen Kurswechsel bei der Förderung von Sonnenenergie?

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Die Furcht vor einem Stromengpass ist den Mitgliedern des Parlaments in die Knochen gefahren. Jahrelang hatten die Politiker den Ausbau der erneuerbaren Energien verschleppt oder sogar bekämpft. Unter dem Eindruck einer drohenden Mangellage infolge des Ukraine-Kriegs kann es jetzt aber nicht schnell genug gehen. Alpentäler sollen zu Solar- und Windparks hochgerüstet werden, Hausdächer und -Fassaden zu Kraftwerken. Und um der Energiewende das nötige Tempo zu verleihen, will die Politik dafür Fördergelder in Milliardenhöhe aufwenden.

Besonders grosszügig verfährt die Politik mit jener Produktionsart, die oft als besonders «günstig» propagiert wird: die Photovoltaik (PV). Im letzten Jahr wurden schweizweit 50 Prozent mehr Panels als im Vorjahr installiert. Der Anteil PV an der Stromproduktion beträgt inzwischen 8 Prozent. Doch das genügt nicht: Beflügelt von weiteren Förder-Milliarden soll das Ausbautempo noch einmal erhöht werden. Bis 2050 dann soll die Photovoltaik fast doppelt so viel Strom liefern wie heute die Kernkraft.

Doch so notwendig der Ausbau der Solarenergie ist, um den Ausstieg aus der Kernenergie zu schaffen und den wachsenden Strombedarf zu decken; die Dezentralisierung der Produktion bringt die Stromnetze an den Anschlag. So könnte bei strahlendem Sommerwetter bald so viel Strom eingespeist werden, dass die bestehenden Netzkapazitäten nicht ausreichen.

Netzausbau kostet Milliarden

«Wollen wir künftig all den Solarstrom an den Produktionsspitzen im Sommer abtransportieren, muss das Verteilnetz um das drei- bis Vierfache ausgebaut werden», sagt Urs Meyer, der Präsident des Vereins Smart Grid Schweiz, der die Interessen der grossen Netzbetreiber vertritt. Das jedoch sei weder zielführend noch realistisch: «Die Kosten für einen solchen Ausbau wären immens. Der volkswirtschaftliche Nutzen dagegen bliebe bescheiden.» So würde der Strom, der im Sommer produziert werde, ohnehin keine Abnehmer finden, da die Preise am Markt dann nahe bei null oder negativ sein würden.

Der stellvertretende CEO des Innerschweizer Energieversorgers CKW kritisiert, dass die Politik derzeit viel zu stark darauf bedacht ist, die Jahresproduktion beim Strom zu maximieren. Ausser acht gelassen werde dabei, dass der Strom nicht nur produziert, sondern auch zur gewünschten Zeit verfügbar sein muss. Dies führe dazu, dass im Sommer zu viel eingespeist werde, obwohl nur im Winter eine Stromlücke vorliege. Deshalb stimme auch der Slogan «Jede Kilowattstunde zählt» in dieser Einfachheit nicht.

Meyer fordert deshalb, dass die Einspeisung von Solarstrom ins Netz permanent gekappt wird, auf 70 oder gar auf 50 Prozent der Leistung, den die Panels bei Maximalauslastung liefern können. «Die Eigentümer der Anlagen müssen damit zwar auf etwas Sommerstrom verzichten. Im Gegenzug könnten aber Milliarden beim Netzausbau eingespart werden, und die im Winter verfügbare Strommenge würde dennoch nicht reduziert», so Meyer.

Kunden in der Grundversorgung werden benachteiligt

Auch anderweitig sollen die Eigentümer von Photovoltaikanlagen zurückbuchstabieren müssen. So machen sich die Netzbetreiber dafür stark, dass künftig nur noch Solarstrom gefördert wird, der im Winter produziert wird. Die Einführung eines landesweiten Minimaltarifs für die Vergütung von Solarstrom lehnt er ab. «Erhalten die Eigentümer von Solaranlagen fortan im Sommer für jede Kilowattstunde Solarstrom 5 bis 10 Rappen, obwohl ein Stromüberschuss vorhanden ist, müssen dies die grundversorgten Kunden berappen, die keinen Strom produzieren.»

Welche enormen Geldsummen mit einer Begrenzung der Produktionsspitzen eingespart werden könnten, zeigt eine Studie, die das Bundesamt für Energie (BfE) in Auftrag gegeben hat. Sie kommt zu dem Schluss, dass ein auf Maximalbelastung ausgerichtetes Netz bis 2050 mit zusätzlichen Ausbaukosten von 60 Milliarden Franken oder mehr verbunden wäre statt mit 30 Milliarden Franken wie im Basismodell. Laut Meyer könnten mit einem Verzicht auf 1 bis 3 Prozent der Stromproduktion bereits 30 Prozent der Anschlusskapazität eingespart werden.

Eine Diskussion über die Frage, was für ein Stromnetz die Schweiz will, hat bisher trotzdem erst in Ansätzen stattgefunden. Gemäss geltendem Recht besteht für die Energieversorger eine Abnahme- und Vergütungspflicht für den gelieferten Solarstrom – unabhängig davon, wie viel Strom der einzelne Hausbesitzer durch die Kabel leiten will. Der Ständerat möchte dies ändern: Im Herbst beschloss er, dass die Netzbetreiber die Möglichkeit erhalten sollen, die Einspeiseleistung von Solaranlagen zu limitieren. Anders als der Bundesrat sprach er sich aber dagegen aus, dass die Anlagenbesitzer dafür entschädigt werden.

Übernächste Woche nun beugt sich der Nationalrat in der Debatte zum Energie-Mantelerlass über das heikle Thema. Verfechter der Erneuerbaren, unter ihnen etwa der GLP-Chef Jürg Grossen sowie der grüne Nationalrat Bastien Girod, wollen eine Einschränkung des eingespeisten Solarstroms nur zulassen, wenn der sichere Netzbetrieb gefährdet ist. Auch wollen sie nichts wissen von einer Drosselung der Förderung für den Solarstrom im Sommer.

Jürg Grossen hält die Kritik der Netzbetreiber denn auch für verfehlt. Winterstrom werde bereits heute extra gefördert, sagt er. Dies gilt für steil aufgeständerte PV-Anlagen, beispielsweise an Fassaden. Mehr Subventionen erhalten auch Anlagen über 1500 Metern. Alpine Solaranlagen produzieren aufgrund von mehr Sonnenstunden und der Reflexion durch Schnee im Winter mehr Strom als Installationen im Mittelland.

Diese Anreize wirken zwar. «Aber wir können nicht zaubern», sagt Wieland Hintz vom Bundesamt für Energie. Der Winteranteil einer künftigen Jahresproduktion von beispielsweise 30 Terawattstunden könne ohne grössere Zusatzkosten von heute 27 auf 30 Prozent gesteigert werden. Laut Hintz ist auch eine Erhöhung auf 35 Prozent möglich. Dies würde aber unverhältnismässig viel kosten.

Der vom Parlament vorgesehene Mechanismus zur Rückvergütung von erneuerbarem Strom entschädigt laut BfE tendenziell den Winterstrom stärker. Denn die Vergütung richtet sich nach den Marktpreisen, die im Winter bei knappem Strom höher sind. Konsequent im Sinne der Netzbetreiber wäre es jedoch, wenn die Minimalvergütung wegfallen würde. Diese dürfte laut Berechnungen des Bundes rund 6 bis 7 Rappen pro Kilowattstunde betragen.

Wird der Solar-Zug ausgebremst?

Der GLP-Chef Grossen, der den Branchenverband Swissolar präsidiert, befürchtet, dass ohne diesen garantierten Mindestpreis PV-Anlagen ohne Eigenverbrauch nicht mehr rentabel sind. Damit könnte der dringend benötigte rasche Ausbau der Photovoltaik gebremst werden. Dereinst, «wenn der Solar-Zug richtig am Rollen» sei, könne man über eine zusätzliche Konzentration der Förderung auf den Winter diskutieren.

Auch von SP-Nationalrat Roger Nordmann kommt Kritik am Verhalten der Netzbetreiber. Diese hätten lange innovative Lösungen bekämpft. Jetzt haben es die Versorger laut dem Energie-Politiker selbst in der Hand, ihren Kunden Modelle anzubieten, welche die Netze entlasten. Beispielsweise könnten sich Endkunden mit PV-Anlagen vertraglich verpflichten, eine gewisse Menge an Strom abzuregeln und im Gegenzug attraktivere Rücklieferpreise erhalten.

David Vonplon, Christof Forster, «Neue Zürcher Zeitung» (03.03.2022)

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