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Eine neue Ära der Klimapolitik beginnt: weniger Ziele, mehr Umsetzung

Zehn Jahre nach dem Pariser Abkommen steht fest: Die Welt wird die Erderwärmung nicht mehr auf 1,5 Grad bremsen. Nun sollte der Fokus darauf gelenkt werden, die Energiewirtschaft umzubauen. Vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

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Wenige Tage bevor Politiker, Forscher und Aktivisten im brasilianischen Regenwald landeten, um über die Zukunft der Klimapolitik zu verhandeln, wütete der Hurrikan «Melissa» in der Karibik. Jamaica, Kuba, Haiti, die Dominikanische Republik und die Bahamas waren betroffen, Ortschaften und ganze Landstriche wurden zerstört, viele Menschen kamen ums Leben. Wenige Tage später, die Diplomaten waren schon in die Verhandlungen eingetaucht, fegte ein Taifun über die Philippinen hinweg.

Es war die jüngste Episode in einem Jahr, in dem extreme Wetterereignisse auf der ganzen Welt eines verdeutlicht haben: Politiker können auf den alljährlichen Klimakonferenzen noch so viele neue Emissionsziele versprechen und sich rhetorisch an 1,5 Grad festklammern, der Klimawandel aber ist Realität.

Die Jamaicaner seien widerstandsfähig, sagte der Klimaminister des Landes, Matthew Samuda, in einer Rede in Belém. Das dürfe jedoch nicht bedeuten, «das Unerträgliche zu überleben». Jamaica habe die Klimakrise nicht verursacht, «aber wir weigern uns, als Opfer definiert zu werden: Wir entscheiden uns fürs Handeln.»

Samuda hat recht. Zehn Jahre nachdem das Pariser Abkommen beschlossen worden ist, um die gefährliche Erderwärmung unter Kontrolle zu halten, muss es um das Handeln gehen. Und gerade Industriestaaten sollten sich deswegen vielmehr darauf konzentrieren, die Energiewende in Entwicklungs- und Schwellenländern finanziell und mit technologischem Know-how zu unterstützen, anstatt auf immer neue Klimaversprechen zu pochen.

Jahr für Jahr werden auf den Klimaverhandlungen neue Ziele und Initiativen mit grossem Tamtam angekündigt, die dann schnell wieder im Sand verlaufen. Das konnte man auch auf der COP30-Klimakonferenz in Brasilien beobachten.

Dabei zeigen die jüngsten Daten der Uno, dass die Energiewende in vielen Ländern in Bewegung kommt – und eben nicht nur in den Industriestaaten. Die jährlichen Klimakonferenzen sollten sich deswegen stärker mit den notwendigen Rahmenbedingungen in den Schwellen- und Entwicklungsländern beschäftigen, um die Energiewende dort voranzubringen.

Das würde auch bedeuten, die Energiewende weniger als eine klimapolitische, sondern eher als eine entwicklungs- und wirtschaftspolitische Notwendigkeit zu interpretieren – und die klimapolitische Agenda stärker auf die Bedürfnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer auszurichten.

Sie sind die Emittenten von morgen und schon heute massgeblich für das Wachstum der Emissionen verantwortlich. Kein Land pumpt mehr Emissionen in die Atmosphäre als China. Indien hat nun die EU als drittgrössten Emittenten überholt. Die USA sind weiterhin der zweitgrösste Emittent der Welt.

Die Prioritäten der internationalen Klimapolitik müssen also auch im Kontext der lokalpolitischen Prioritäten von Entwicklungsländern Sinn ergeben. Dabei geht es beispielsweise darum, Zugang zu Energiequellen und neue Arbeitsplätze zu schaffen wie auch heimische Industrien aufzubauen, die mehr sind als nur Rohstoffminen für Industrieländer. Ohne Beachtung dieser Prioritäten kann die Umsetzung von Klimazielen weltweit nur scheitern. Folgt man den Debatten auf den Klimakonferenzen, zeigt sich: Viele dieser Länder wollen mehr sein als nur Importeure von abstrakten Ideen zur Rettung des Klimas.

Eine neue Rolle für Entwicklungsländer in der Klimapolitik

Es sprechen viele strategische Gründe für die Energiewende, unter anderem um die Abhängigkeiten von Importen fossiler Brennstoffe und die Energiekosten zu reduzieren. Das ist vielen Entwicklungs- und Schwellenländern bewusst, vor allem China.

Kein Land investiert mehr in die grünen Technologien von morgen. Ob Ausbau oder Herstellung von Solarpanels, Windturbinen, Batterien oder Elektroautos, China dominiert weltweit. Das gilt auch für die Verarbeitung der strategischen Rohstoffe, die dafür benötigt werden.

Für China ist die Energiewende eine Säule seiner eigenen Wachstumsstrategie. Das Land unterstützt damit aber auch die Umsetzung der Klimaziele weltweit. Daten zeigen, dass heute mehr als die Hälfte von Chinas grünen Tech-Exporten in Entwicklungs- und Schwellenländer gehen. Ob Brasilien, Indien oder Vietnam, Äthiopien oder Pakistan, der Anteil der erneuerbaren Energien und der Elektroautos wächst fast überall. Das sind gute Nachrichten für den Klimaschutz, auch wenn die Entwicklung neue Abhängigkeiten für Europa und andere Regionen hinsichtlich strategischer Ressourcen und Lieferketten verursacht.

Diese Entwicklung zeigt zudem, was die knapp 200 Regierungen 2015 eigentlich mit dem Pariser Abkommen unterzeichnet haben. Die abstrakte Verpflichtung, die Erderwärmung auf weit unter 2 Grad zu begrenzen, bedeutet in Wirklichkeit nämlich einen hochkomplexen Umbau der Wirtschaft.

Die Länder hatten diesem Unterfangen damals zugestimmt, ohne ausreichend über die Umsetzungsschwierigkeiten für ihre Volkswirtschaften und Gesellschaften nachzudenken. Das erklärt auch, warum der grüne Enthusiasmus der vergangenen Jahre heute einer Ernüchterung gewichen ist. In vielen Ländern wächst der politische Widerstand gegenüber den Kosten der Energiewende, insbesondere in Europa.

Auch deswegen sollten Länder wie Deutschland oder die Schweiz stärker darauf setzen, die Energiewende in den Entwicklungsländern voranzubringen. Noch zu oft wird in öffentlichen Debatten argumentiert, dass Europa mit seinen grünen Ambitionen allein dastehe. Das, so die Kritiker, schade der Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents.

Dabei ist diese Interpretation der Klimapolitik längst nicht mehr richtig. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer investieren in den Ausbau und die Herstellung grüner Technologien. Und dank Chinas Industriepolitik der vergangenen Jahre sind die Kosten für diese dramatisch gefallen.

Die Entwicklungsländer sehen die Klimaverhandlungen aus diesem Grund auch als ein zentrales Forum, um über wirtschaftliche und technologische Hürden der Energiewende zu sprechen. Für viele dieser Länder geht es bei der Diskussion eben nicht nur um die klimapolitische, sondern auch um die wirtschaftliche Dimension.

Das erklärt zum Beispiel auch, warum in den vergangenen Jahren der CO2-Zoll der EU so viel Unmut an den Verhandlungen verursacht hat. Viele Entwicklungsländer beklagen, dass diese grenzübergreifenden Massnahmen ihre wirtschaftliche Entwicklung bremsen würden. Das war auch in Brasilien wieder deutlich zu beobachten. Die Klagen sind dabei nicht nur Verhandlungstaktik, um Konzessionen von der EU zu erhalten, sondern spiegeln ernsthafte Sorgen wider.

Das hat auch damit zu tun, dass die Umsetzung der Energiewende aufwendig, arbeitsintensiv, technisch anspruchsvoll und teuer ist. Sie erfordert den Bau von Stromleitungen und Kraftwerken, Ladestationen für Elektroautos, Produktionsstätten für Solarpanels und Windturbinen, neuen Minen und Fabriken zur Verarbeitung der benötigten Rohstoffe wie auch Recyclinganlagen.

Entwicklungs- und Schwellenländer wollen aus diesem Grund über die Barrieren am internationalen Finanzmarkt und die für den Ausbau des Energiesystems notwendigen Geldmittel sprechen. Zudem fordern sie seit Jahren den Austausch von technologischem Know-how und grössere Aufmerksamkeit für die Anpassungsmassnahmen gegen die schädlichen Folgen des Klimawandels. Zu Recht. Denn eine Flutwelle zerstört nicht nur Dörfer, sondern auch Fortschritt. Viele Länder bleiben auf den Kosten sitzen – und ihre Schulden wachsen.

Um den Fokus verstärkt auf die Umsetzung der Klimaziele zu richten, müssen wir uns jedoch auch einer Realität stellen: Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens ist vorerst nicht mehr zu erreichen.

Das ist bitter. Schon diese Erwärmung führt gemäss Forschern zu schwerwiegenden Schäden für die Natur wie auch die Gesundheit von Menschen. Aber anstatt dem Klimaziel nachzuweinen und sich rhetorisch darin zu verbeissen, sollten die Industrieländer stärker darauf fokussieren, den Umbau der Energiewirtschaft voranzubringen.

Das bedeutet nicht, die Klimaziele als Ganzes aufzugeben. Im Gegenteil: Indem sie sich darauf konzentrieren, die Energiewende unter anderem mit zusätzlicher finanzieller Unterstützung der Entwicklungsländer konkret voranzubringen, werden sie auch die Emissionen senken.

Allein mit Symbolpolitik und dem Beharren auf «Ambition» in der Klimapolitik werden die Ziele des Pariser Abkommens nicht erreicht. Das Verzwickte am Problem des Klimawandels ist doch, dass er sich nicht nur von einigen wenigen überzeugten Vorreitern bremsen lässt. Der Klimawandel kennt keine Grenzen. Und mit der Zeit ändern sich die Verursacher. Ohne Einbezug der Entwicklungsländer wird der Klimawandel nicht gebremst.

Diese Verschiebung – oder besser: Ausweitung – der klimapolitischen Agenda auf die Realität dieser Länder ist entscheidend. Einerseits, um dem Erreichen der Klimaziele zumindest näher zu rücken. Und andererseits, um die Klimapolitik auf eine praktische Ebene zu heben, mit direktem Einfluss auf das Leben derer, die schon heute am meisten unter dem Klimawandel leiden. Das könnte auch das Vertrauen in das klimapolitische Regime stärken – und sicherstellen, dass es sich auch in Zukunft bewährt.

Kalina Oroschakoff, «Neue Zürcher Zeitung» (27.11.2025)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

7 - Bezahlbare und saubere Energie
13 - Massnahmen zum Klimaschutz
17 - Partnerschaften zur Erreichung der Ziele

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