Die Sharing-Economy boomt – auch Firmen können das Teilen lernen
Eine Forschungsgruppe der Hochschule Luzern lanciert die schweizweit erste Sharing-Plattform für Unternehmen. Vor allem KMU sollen hier ihre Ressourcen miteinander teilen können.
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Britta Gut / AZ Medien
Eine Forschungsgruppe der Hochschule Luzern lanciert die schweizweit erste Sharing-Plattform für Unternehmen. Vor allem KMU sollen hier ihre Ressourcen miteinander teilen können.
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6 Min. • • Nelly Keusch, «Neue Zürcher Zeitung»
Teilen liegt im Trend. Seit das Schweizer Unternehmen Mobility 1997 hierzulande das Carsharing eingeführt hat, haben zahlreiche andere Anbieter den Markt für sich entdeckt. Die Plattformen Airbnb und Uber haben weltweit Millionen von Nutzern. Ob Fahrräder, E-Scooter oder Unterkünfte: Die sogenannte Sharing-Economy boomt, gemäss Schätzungen von PwC könnten die weltweiten Umsätze von Plattformen zum Teilen und Mieten im Jahr 2025 bereits 335 Milliarden Dollar betragen.
Mittlerweile können Konsumenten nicht nur ihre Wohnungen oder ihre Autos miteinander teilen, sondern auch Küchengeräte, Nähmaschinen oder Rasenmäher. Alles, was nicht dauerhaft genutzt wird, kann vermietet werden. Die Schweizer Plattform Sharely bietet auf ihrer Website unter anderem Tennisschläger, Schlitten und Nudelmaschinen an.
Gegenstände zu teilen, bietet allen Beteiligten Vorteile: Derjenige, der sich ein Produkt ausleiht, das unter Umständen sehr teuer in der Anschaffung wäre, spart Geld und kann etwas nutzen, was ihm sonst nicht zur Verfügung stünde. Der Vermieter erhält ein kleines Entgelt und kann einen Teil der Kosten, die er für das Produkt hatte, wieder zurückgewinnen. Bei Sharely ist deswegen nun sogar Jelmoli aktiv geworden und bietet dort etwa Standmixer oder Schneeschuhe an. Das Zürcher Warenhaus verspricht sich davon eine neue Wertschöpfungskette und zusätzliche Einnahmen über die Mietgebühren.
Vor allem KMU können vom Sharing profitieren
Wenn es sich für ein Unternehmen lohnt, in ein Sharing-Modell mit einzusteigen, könnte man Sharing dann auch im B2B-Bereich einführen? Wie könnte ein Modell aussehen, in dem Unternehmen miteinander teilen?
Diese Frage hat sich ein Team aus Forscherinnen und Forschern der Hochschule Luzern gestellt. Schliesslich könnten auch Unternehmen durch das Teilen von Ressourcen unter Umständen einiges an Kosten einsparen. Die Wissenschafter sind zu der Überzeugung gelangt, dass hier gerade für KMU viel ungenutztes Potenzial liegt.
Zwar ist das Sharing-Konzept in einigen wenigen Unternehmensbereichen bereits angekommen, wie etwa beim Teilen von Büroräumen. In sogenannten Coworking-Spaces bekommen kleine Unternehmen Arbeitsplätze mit Internet- und Telefonanschluss, die sie flexibel mieten und nutzen können. Die Luzerner Forscher glauben aber, dass vor allem klassische Modelle des Teilens mehr genutzt werden könnten: Ein Unternehmer leiht einem anderen gegen Gebühr seinen Gabelstapler. Oder er hat einen Lagerraum, den er nicht benötigt und deswegen vermietet.
Im kleinen Rahmen ist das Teilen bereits Praxis
Solche Sharing-Konzepte gibt es bereits seit langem in der Landwirtschaft; bei Genossenschaften ist das Teilen von Ressourcen Hauptzweck. Und auch ohne sich in einer Rechtsform zu organisieren, teilen Kleinunternehmer im Alltag oft Gegenstände und Materialien, leihen etwa ihrem Nachbarn den Transporter aus, wenn er ihn gerade benötigt.
Mehr als 170 000 Schweizer Unternehmen könnten laut Co-Projektleiter Sebastian Huber von regelmässigem Sharing profitieren. Dabei handle es sich um kleinere und mittlere Unternehmen mit hoher Kapitalbindung, also Firmen in produzierenden Industrien mit grossen Gewerbeflächen und vielen Maschinen. In vielen solchen Unternehmen sei das Teilen im kleinen Rahmen bereits Praxis, erzählt Huber. Bei Befragungen hätten viele dem Forschungsteam gegenüber aber betont, dass sie gerne bereit seien, mehr und systematischer zu teilen.
Eine neue Plattform soll beim Teilen helfen
Eine zentrale Plattform, um solche Zusammenschlüsse zu koordinieren, fehlte allerdings bisher. Das Luzerner Forschungsteam will das ändern: mit einem speziell auf KMU ausgerichteten Startup und der Plattform kmusharingmarket.ch. Als Gründer und Geschäftsführung fungieren die Unternehmer Carla Kaufmann und Charly Suter. Die beiden bringen bereits Erfahrung im KMU-Bereich mit: Carla Kaufmann betreibt mit companymarket.ch eine Vermittlungsplattform für die Nachfolge von Unternehmen, Charly Suter leitet eine speziell auf KMU ausgerichtete Beratungsagentur für Digitalisierung.
Kaufmann und Suter werden die Plattform nun kommerziell weiterbetreiben, die Wissenschafter der Hochschule Luzern begleiten das Projekt. Das Konzept ist simpel. Ein Unternehmer, der nicht vollständig ausgelastete Maschinen, Lagerflächen oder Transportfahrzeuge besitzt, kann diese auf der Plattform zur Miete für andere anbieten. Unternehmen, für die sich eine Investition in solche Vermögenswerte bisher nicht gelohnt hat, können dadurch Mittel nutzen, zu denen sie zuvor keinen Zugang hatten.
Startups sind auf Sharing angewiesen
«Dadurch können Kapazitäten freigesetzt werden und Ideen entstehen», ist Carla Kaufmann überzeugt. Etwa, wenn ein Unternehmen durch Sharing Zugriff auf Technologien bekomme, die ihm sonst nicht zur Verfügung stünden, oder gar ein völlig neues Verfahren ausprobieren könne. Vor allem Startups könnten davon profitieren. Kaufmann erzählt, sie habe kürzlich ein Unternehmen besucht, das eine Stanzerei besitze, diese aber kaum mehr nutze. Die meiste Zeit des Jahres könnten die Maschinen also vermietet werden.
Charly Suter verweist auf Studien, laut denen die Hälfte aller neu gegründeten Firmen innerhalb der ersten fünf Jahre wieder aufgeben müssen. Hauptursache sei die fehlende Liquidität. Sharing-Plattformen, die einen niedrigschwelligen Zugang zu kostenintensiven Technologien böten, könnten vielen solchen Startups den Eintritt in den Markt erleichtern.
Firmen sind aus Wettbewerbsgründen skeptisch
Doch gerade diese Aussicht ist ein Grund, weshalb einige Firmen beim Teilen bisher eher skeptisch waren. Schliesslich denken ihre Geschäftsführer wettbewerbsorientiert und wollen den kompetitiven Vorteil, den sie durch ihre Investitionen errungen haben, ungern aufgeben. Sebastian Huber meint, da müsse ein Umdenken stattfinden: nicht gegeneinander ankämpfen, sondern gemeinsam wachsen. Schliesslich seien die wahren Konkurrenten nicht die KMU untereinander, sondern die grossen Firmen, die sich immer mehr ausbreiteten und kleinere Wettbewerber verdrängten.
Carla Kaufmann drückt es noch radikaler aus: «Die Firmen stehen derzeit unter grossem Druck. Wer im Markt überleben will, muss lernen, zu teilen.» Die Corona-Pandemie und die verschiedenen Lieferkettenprobleme in jüngster Zeit hätten gezeigt, wie schnell es für Unternehmen eng werde, wenn Ressourcen knapp würden. In solchen Zeiten könne es für Unternehmen sehr wertvoll sein, sich zusammenzuschliessen.
Viele Fragen sind noch offen
Ob die Unternehmen das Teilen lernen werden, wird sich nun zeigen. Es bleiben einige offene Fragen: Zunächst einmal ist es wichtig, dass ein ausreichendes Angebot geschaffen werden kann, so dass Interessenten tatsächlich das finden, was sie suchen, und zwar in einer zumutbaren Entfernung. Es lässt sich kaum sagen, ob sich dafür genügend Firmen finden. Auch ist unklar, wie hoch überhaupt der Bedarf ist und welche Gerätschaften sich tatsächlich mit vertretbarem Aufwand teilen lassen.
Dass Sharing nicht in jedem Fall sinnvoll ist, zeigt das Beispiel der Peka-Metall AG, die an der Testphase des Projekts teilnahm. Das Unternehmen aus dem luzernischen Mosen teilt sich bei kurzfristigen Personalengpässen in der Produktion Fachkräfte mit der ebenfalls beteiligten Estech Indutries AG. Sich für die jährliche Inventur einen Gabelstapler von der Kebo AG aus Schaffhausen auszuleihen, kam wegen der Entfernung für das Unternehmen aber nicht infrage.
Suter und Kaufmann sind dennoch überzeugt vom Potenzial ihrer Idee. Sharing werde in der Zukunft immer wichtiger werden. Kaufmann drückt es so aus: «Die Frage ist nicht: ‹Was werden wir in Zukunft alles teilen?› Sondern: ‹Was werden wir irgendwann überhaupt noch besitzen?›»
Nelly Keusch, «Neue Zürcher Zeitung» (22.03.2022)
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