Auswirkungen unseres Konsumverhaltens
Wo soll er angesetzt werden, der lange Hebel gegen den Klimawandel? Eine Forschungsgruppe der ETH Zürich entwickelt Modelle und Methoden, die den Weg in eine ressourcenschonende Zukunft weisen.
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Die Schweiz hat mit 127 Kilogramm jährlich europaweit den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Plastik. Foto: Shutterstock
Wo soll er angesetzt werden, der lange Hebel gegen den Klimawandel? Eine Forschungsgruppe der ETH Zürich entwickelt Modelle und Methoden, die den Weg in eine ressourcenschonende Zukunft weisen.
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7 Min. • • Flavian Cajacob, Sustainable Switzerland Editorial Team
In einer Zeit, in der Umweltbelastung und Ressourcenknappheit in den Fokus rücken, gewinnt das Konzept der Kreislaufwirtschaft zunehmend an Bedeutung. Expertinnen und Experten sind sich einig: Bei der Transformation von der linearen zur zirkulären Wirtschaft spielen die Konsumentinnen und Konsumenten neben Politik und Wirtschaft eine wichtige Rolle. Durch bewusste Kaufentscheidungen können Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur ihren eigenen ökologischen Fussabdruck reduzieren, sondern auch Unternehmen zum Umdenken bewegen.
Strategien ableiten
Um Entscheidungen fällen zu können, braucht es ein Fundament, bestehend aus Erkenntnissen und verlässlichen Fakten. Stefanie Hellweg, Professorin für ökologisches Systemdesign an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), erarbeitet zusammen mit ihrem Team vom Institut für Umweltingenieurwissenschaften Instrumente und Methoden, die eine eingehende Bewertung von Produkten, Technologien und Verbrauchsmustern ermöglichen. Dies geschieht anhand von Modellen, die in erster Linie aufzeigen, wie sich Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbrauch des täglichen Konsums auf die Umwelt auswirken. Doch was bedeutet das genau? «Einfach gesagt, liefern wir Resultate, die aufzeigen, welche Auswirkung in welchem Ausmass das menschliche Verhalten auf die Umwelt hat», erklärt Hellweg. Wenngleich in der Praxis um einiges komplizierter, können Wirtschaft, Politik, aber auch jede und jeder Einzelne von den Resultaten konkrete Strategien oder Massnahmen ableiten, welche mithelfen, die ökologische Belastung zu minimieren.
Optionen aufzeigen
Die Schlüsselfrage lautet denn auch längst nicht mehr, ob eine Transformation hin zu global nachhaltigem Ressourcenverbrauch und ökologisch vertretbarer Produktion notwendig ist, sondern, wie man diese erreichen kann – und das besser heute als morgen. Ein Hauptaugenmerk der Arbeit an der ETHZ gilt dahingehend den Rohstoffen, deren Produktion und Nutzung, sowie der Kreislaufwirtschaft, insbesondere, was die Vorteile und Auswirkungen von Stoffkreisläufen angeht. Im Rahmen dessen werden Alternativen bewertet und umweltfreundliche Optionen aufgezeigt. Dass allein dadurch ein Umdenken in breiten Kreisen stattfindet, ist allerdings zu bezweifeln. Es braucht zusätzliche Anreizsysteme, sei es in Form von gesetzlichen Vorgaben, sei es in Form von Subventionen für neue Technologien. «Die Abkehr vom gewohnten Produktions- und Konsumverhalten ist für jeden Einzelnen mit einschneidenden Veränderungen verbunden», sagt Stefanie Hellweg (siehe auch Interview). «Werden wir jedoch den ökologischen Auswirkungen unseres Handelns bewusst, können wir unseren Teil zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen beitragen.»
Zusammenhänge beachten
Als Grundlage für ihre Arbeit nutzen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter beispielsweise Datenquellen wie die Haushaltsbudgeterhebung des Bundes und verknüpfen diese mit maschinellem Lernen, um Konsummuster zu identifizieren. Diese werden dann bezüglich ihrer Umweltauswirkungen bewertet, um umweltfreundliche wie auch -schädigende Verhaltensmuster zu erkennen. Die Instrumente, welche Hellweg und ihre Kolleginnen und Kollegen entwickeln, finden in der Praxis Verwendung hinsichtlich Quantifizierung der Umweltauswirkungen von Konsumprofilen und Produkten des täglichen Gebrauchs. Letzteres kann in Form von Labels geschehen, an denen sich Händler oder Konsumentinnen und Konsumenten orientieren können. Konsum, der die Umwelt stark belastet, wird aufgrund der Faktenlage benannt, quantifiziert und kann im besten Fall vermieden werden – wenn denn der Entscheid zur Wahl einer ökologisch weniger bedenklichen Alternative ausfällt. Eine besonders wichtige und langfristige Rolle spielt der Konsumbereich «Wohnen» und somit die gebaute Infrastruktur. Gebäude tragen nicht nur während des Betriebs durch fossile Heizungen massgeblich zu den Klimaemissionen bei, sondern zunehmend auch durch die Herstellung der Baumaterialien und die dabei entstehenden Emissionen. Das Team der ETHZ untersucht deshalb, wie die Auswirkungen von Gebäuden und Infrastrukturen auf das Klima verringert werden können. Auch hier gehe es darum, nicht bloss einzelne Bereiche anzuschauen, sondern das grosse Ganze im Auge zu behalten, erklärt Stefanie Hellweg. Mit Holz zu bauen, kann zum Beispiel Treibhausgasemissionen im Vergleich zu anderen Materialien einsparen. Insbesondere bei importiertem Holz kann es sich – je nach Herkunft und Waldbewirtschaftung – allerdings negativ auf die Biodiversität auswirken. Man dürfe also die Zusammenhänge nicht ausser Acht lassen, so Hellweg. «Im Grossen genauso wenig wie im Kleinen.»
«Sowohl-als-auch ist keine Option»
Im Blick auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft müssten Konsumentinnen und Konsumenten umdenken, so Prof. Stefanie Hellweg von der ETH Zürich.
Frau Prof. Hellweg, wie steht die Schweiz aktuell in Sachen Recycling da?
Im internationalen Vergleich nicht schlecht. Die Recyclingraten sind für viele Materialien bereits sehr hoch, und es wird viel unternommen, um die Quote weiterhin zu steigern. Das ist aber auch dringend nötig, denn als reiches Land verbrauchen wir sechsmal mehr Ressourcen und erzeugen das Zehnfache der Klimaauswirkungen von einkommensschwachen Staaten.
Häufig ist von Konsumentenseite zu hören, es mache keinen Sinn, als Einzelner Müll zu trennen, wenn der Nachbar, das Unternehmen von nebenan oder China nicht mitziehen. Was ist da dran?
Das stimmt nicht. Wir haben ausgerechnet, dass durch das aktuelle Recyclingsystem in der Schweiz jährlich mehr als 500 000 Tonnen CO₂ eingespart werden. Allerdings reicht die Abfalltrennung bei weitem nicht als alleinige Massnahme für den Klimaschutz aus. Ökobilanz- Studien zeigen auf, dass das Wohnen, die Mobilität und die Lebensmittel die relevantesten Verbrauchsbereiche für Treibhausgasemissionen sind. Der Konsum privater Haushalte trägt erheblich zum Klimawandel, zum Verlust der biologischen Vielfalt und zu anderen Umweltauswirkungen bei.
Wo sehen Sie das grösste Potenzial, um den Kreislauf der Wiederverwertung weiter anzukurbeln?
Kreislaufwirtschaft bedeutet in erster Linie, Abfälle zu vermeiden. Dies kann durch Konsumverzicht, durch vermehrtes Teilen von Produkten oder durch die Lebensdauerverlängerung von Konsumgütern geschehen. Ein sehr grosses Verbesserungspotenzial orte ich im bedarfsgerechten Einkauf von Lebensmitteln und dem Vermeiden von Lebensmittelverlusten. Auch beim konventionellen Recycling besteht noch Luft nach oben.
Gibt es weitere Beispiele?
Am Beispiel der Wiederverwertung von Kunststoffen lässt sich das Potenzial ziemlich gut aufzeigen. Die durchschnittliche Recyclingquote aller Plastikabfälle beläuft sich heute auf gut neun Prozent. Würden wir alle rezyklierbaren Kunststoffprodukte mit derselben Konsequenz trennen und sammeln, wie wir dies bereits bei PET tun, könnten wir den Wiederverwertungsanteil auf 23 Prozent steigern. Es gibt aber eine grosse Herausforderung: Kunststoffe bestehen aus unglaublich vielen Bestandteilen. Ein Teil davon ist für Mensch und Umwelt potenziell schädlich. Die enorme Anzahl Zusätze, welche dann im Recycling vermischt werden, vermindert oft die Qualität des Rezyklats oder verunmöglicht eine sichere Wiederverwertung gänzlich. Eine sortenreinere Verwendung und Trennung von Kunststoffen, geringere Chemikalienvielfalt, einheitlicheres Material- und Produktdesign und transparente Lieferketten würden mithelfen, die Qualität und damit die Verwendbarkeit des Rezyklats zu steigern.
«Kreislaufwirtschaft bedeutet in erster Linie, Abfälle zu vermeiden.»
Grundlegend sind diesbezüglich eher Industrie, Wirtschaft und Politik gefordert. Doch zurück zu uns Konsumentinnen und Konsumenten: Wo sehen Sie hier das grösste Verbesserungspotenzial?
Einerseits generell in der Bereitschaft, Abfälle zu vermeiden. Viele Güter in der Schweiz werden von den Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht oder nur sehr wenig oder sehr kurz genutzt. Andererseits zeigen Studien, dass es bei jenen, die ihren ökologischen Fussabdruck bewusst durch Verzicht oder andere Massnahmen vermindern wollen, mitunter zu einem sogenannten Rebound-Effekt kommt.
Das bedeutet was?
Was hier eingespart wird, wird dort ausgegeben. Wer etwa im Secondhandladen ein getragenes Kleidungsstück ersteht, tut Gutes und spart Geld, das er oder sie dann aber vielleicht doch noch für ein zusätzliches, neues Paar Jeans ausgibt. Dahingehend muss sicherlich ein Umdenken stattfinden. Denn «Sowohl-alsauch » ist mit Blick auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft keine Option.
Foto: ETH Zürich
Stefanie Hellweg Professorin für ökologisches Systemdesign an der ETH Zürich
Nachhaltig handeln
Es ist eigentlich ganz einfach. Zwölf praktische Tipps, die helfen, die Kreislaufwirtschaft im Alltagsleben zu unterstützen:
Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von der ETH Zürich erstellt.
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